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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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Todeskampf. Plötzlich hatte ich eine Vision der dem Wasser entrissenen Stadt Venedig, die genauso in der eisigen Luft nach Atem rang … Ohne mich noch einmal umzusehen, floh ich zur Rialto-Brücke.
    Du ranntest hinter mir her. Du hieltest den Saum deines scharlachroten Kleides hoch und sprachst mich an:
    Wer sind Sie?
    Ich? Ich bin der Tod.
    Du hast gelacht. Eng umschlungen irrten wir durch die mit Tang bedeckten Gässchen auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen, wo ich dir dein Kleid ausziehen konnte.
    An den Ufern des Canale Grande waren Arbeiter dabei, die letzte Schlammschicht von den alten Palästen zu kratzen. Dort, wo das Wasser zu viel Unheil angerichtet hatte, klebten sie riesige, wie Kulissen wirkende Plakate auf, die nach und nach verschimmelten. Der Schimmel verlieh ihnen entweder unwirkliche Farben oder half ihnen dabei, mit der benachbarten Umgebung zu verschmelzen. Im schwarzen Spiegel des Wassers betrachteten rissige Palazzi fasziniert ihren eigenen, langsamen Untergang. Die Lagune bot blinden Fassaden mit geschlossenen Fensterläden ihre feuchten Lippen dar.
    Du erzähltest mir von jenem venezianischen Künstler, der einen Teil seines Lebens damit verbracht hatte, seine Stadt zu fotografieren. Dabei hatte er sie ihrer Substanz beraubt und sie für immer in den Tiefen seiner Dunkelkammer eingeschlossen. Einzig das Wasser war in der Lage, wie eine Entwicklerflüssigkeit der Stadt Venedig ihre wahre Schönheit zurückzugeben.
    Wir gingen weiter, und ich lauschte deiner Stimme. Damals sprachst du viel, aber vielleicht konnte ich dir auch nur besser zuhören als jetzt. Du hattest viele Albträume gehabt, in denen Venedig eine Rolle spielte, und du erzähltest sie mir mit leiser Stimme. Dabei warfst du ängstliche Blicke auf die Marienstatuen, die in ihren Nischen lauerten. Du sagtest, dass es eines Tages unmöglich sein würde, nach Abtragen der Schlammschichten auf Mauersteine zu stoßen. Venedig würde sich dann vollständig im Meer aufgelöst haben; übrig bliebe nur ein grobes, schwärzliches Fossil. An jenem Tag würde man die Deiche endgültig einreißen und der Strömung die Freiheit lassen, in der Tiefe eine viel schönere Stadt zu erbauen, die kein Mensch je zu Gesicht bekommen würde.
    Erst am nächsten Tag kehrten wir in unser schwimmendes Hotel zurück. Eine Kapelle im Stadtteil Getto Nuovo hatte uns in ihrem verlassenen, mit verblichenen Fresken bedeckten Gemäuer Zuflucht geboten. Deine helle Haut hob sich vom Purpur der in aller Eile auf den Fliesen der Sakristei aufeinander gehäuften Messgewänder ab.
    Ich hoffe, ich schockiere dich nicht. Doch ich erinnere mich dieser Einzelheiten und erzähle sie dir mit der gleichen Natürlichkeit, die uns damals eigen war. Ich sehe dich erröten. Damals errötetest du nicht sehr leicht. Wie kann es sein, dass dich die Geschichte von Handlungen, deren du dich nicht erinnerst, so sehr berührt? Und wenn ich dich nun angelogen habe?«
    Halb ausgestreckt auf einen Ellbogen gestützt, lächelte sie, ohne zu antworten. Ihre Augen verloren sich in der Ferne. Ein Windstoß fuhr unter ihren Rock und enthüllte ihre Schenkel. Der Anblick erregte ihn. Einen Augenblick lang berührten sich ihre Hände, dann zog sie die ihre sanft zurück. Jetzt nicht, schienen ihre Lippen zu flüstern; erzähle mir mehr von Venedig.
    »An den folgenden Tagen haben wir an Bord eines Floßes verlassene Paläste erkundet. Mit abartiger Wollust trieb ich den Stecken in das schlammige Wasser. Unsere Bugwelle brach sich an der Täfelung dicker Mauern. Tief gebückt glitten wir durch Prunksalons, die sich in feuchte Grotten verwandelt hatten. Unsere Haare strichen an zu Stalaktiten aus Schlamm und Algen erstarrten Kristalllüstern entlang.
    Dann und wann gab der Boden unter meinem Ruder nach, und das Wasser strudelte gurgelnd durch die Öffnung. Der Raum leerte sich. Dann verließen wir das gestrandete Floß und öffneten die Tür zum benachbarten Salon, in dem das Wasser wie in einer Schleusenkammer stand. Die Strömung trug uns fort, immer weiter durch die überfluteten Säle.
    Damals kannte ich deinen Namen noch nicht. Ich erfuhr ihn erst gegen Ende des Karnevals. Unser Kostüme waren lange schon nicht mehr erkennbar. Schimmel und Schlammflecke hatten uns alle in Gespenster verwandelt. Der letzte Tanz gemahnte an einen Totentanz, in dem von Zeit zu Zeit die bunten Rauten von Harlekins aufblitzten, die unsere Gondeln nie verlassen hatten.
    Unser Hotel lichtete den Anker als

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