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Eine Trillion Euro

Titel: Eine Trillion Euro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eschbach Andreas
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Majoub, den es zu den Zonenlosen verschlagen hatte, hatte mir die Grundlagen des Rechnens beigebracht. Aber mit Zahlen mit mehr als sechs Stellen hatte ich immer noch Probleme.
    »Komm, Pibe, wir können weiter!«
    Mit wildem Lachen zerrte sie an meinem Ärmel. Das Donnern des Gewitters entfernte sich wie die Trommelwirbel einer Armee auf dem Abzug. Die Alten behaupten, zu ihrer Zeit hätte es weder so häufige noch so heftige Gewitter gegeben. Angeblich haben damals die Leute auch noch nicht auf der Straße schlafen müssen, und man konnte sich von Hunderten von Fernsehkanälen berieseln lassen. Ich hätte sie fragen sollen, warum sie es zugelassen haben, dass ihr früheres Paradies sich in eine solche Hölle verwandelte.
    Das widerliche Wetter hatte den Vorteil, dass mögliche Verfolger in ihrem Unterschlupf blieben. Das galt sogar für die Fanatiker vom Permanenten Jihad, die seit undenklichen Zeiten die Invasion Europas vorbereiteten. Allerdings stand der größte Teil der islamistischen Kampfeinheiten in Kasachstan und Russland, um das Vorrücken der chinesisch-amerikanischen Befreiungstruppen zu verhindern. Majoub, der Lehrer, hatte das alte Europa immer mit einem sinkenden Schiff verglichen: Geschäftemacherei und Korruption hatten die ersten Lecks geschlagen, nationalistische Tendenzen hatten sie erweitert, und die Selbstmordbrigaden des PJ waren jetzt dabei, dem Wrack den Rest zu geben. Manchmal sagte er auch, Europa gliche einer einsam im Sterben liegenden alten Frau, deren Gedanken ständig um ihre prunkvolle Vergangenheit kreisten und deren bittere Erinnerungen sie zerfraßen.
    Von der Stadt, die einmal Stadt der Liebe genannt worden war, standen nur noch Fassaden mit düsteren Fensterlöchern, die an leere Augenhöhlen erinnerten. Nur Kettenfahrzeuge waren in der Lage, auf den zerstörten Straßen und Plätzen vorwärts zu kommen. Eine üppige Vegetation hatte sich durch Asphalt und rissigen Zement gesprengt, hangelte sich an Mauern entlang, drängte sich unter Dächer, schlang sich um Torbögen und überwucherte Innenhöfe. In der Ferne waren dröhnende Motoren, Detonationen, Explosionen und Schreie zu hören.
    Steff ging voraus, sie war spürbar nervös. Im ehemaligen Viertel Châtelet blieb sie zwei Mal stehen und lauschte in die Nacht. Ich gebe zu, ich hoffte insgeheim, dass sie uns auf dem schnellsten Weg zum Ostbahnhof zurückführen würde, doch stattdessen stürzte sie sich in die Finsternis in Richtung der Seine. Schließlich erreichten wir Pont au Change, eine der drei letzten Brücken, die noch nicht von der einen oder anderen Partei zerstört worden waren.
    Steff zog ihre Knarre aus dem Hosenbund und entsicherte sie mit einer professionellen Handbewegung. Das Ding war ein ziemlich merkwürdiges Kaliber; wahrscheinlich handelte es sich um eine plumpe Imitation. Tibetanische Clans bauten sie aus Schrott zusammen, der in den Trümmern herumlag. Man konnte nie sicher sein, in welche Richtung die Kugel losging. Ob Steff die Knarre schon jemals benutzt hatte? Ich wollte gar nicht wissen, woher sie sie hatte. Ich jedenfalls hatte nicht genug Knete, um mir bei den überall herumwimmelnden Hehlern einen Schießprügel zu besorgen. Im Augenblick begnügte ich mich mit dem Messer, das ich von meinem Vater geerbt hatte – genau genommen war es das Einzige gewesen, was ich bei seiner Leiche noch vorgefunden hatte.
    Vorsichtig, wie eine misstrauische Katze, betrat Steff die Brücke. Nach fünf Metern duckte sie sich in den Schatten der Brüstung und winkte mir, ihr zu folgen. Genau in diesem Augenblick kam der Mond zwischen den Wolkenfetzen hervor. Ich duckte mich hinter einen Steinhaufen und zögerte eine ziemliche Weile, ehe ich mich hinter Steff herwagte, mit trockener Kehle, bis zum Hals pochendem Herzen und fest in die Finsternis geheftetem Blick. Als ich sie erreichte, lächelte sie spöttisch und lief sofort weiter. Auf der Mitte der Brücke bekam ich echte Panik. Menschenfleisch-Händler konnten auf beiden Seiten gleichzeitig auftauchen. Einer solchen Falle hätten wir nur entkommen können, indem wir in das tobende Hochwasser der Seine gesprungen wären – und ich hatte niemals schwimmen gelernt.
    Hinter uns jaulte ein Motor auf. Gleißende Scheinwerfer warfen ein unbarmherziges Licht auf die regennasse Brücke.
    »Hau ab!«, brüllte Steif.
    Sie richtete sich auf und rannte in Richtung der Île de la Cité davon. Zum Dröhnen des Motors gesellte sich nun auch das Knirschen von Panzerketten

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