Eine Trillion Euro
werden immer dicker. Es ist nicht das erste Mal, dass ich zum moralischen Verursacher des Selbstmords eines Metahackers wurde. Und es war wohl auch nicht das letzte Mal.
Einerseits das Geld aus dem Verkauf ihrer Organe. Andererseits noch mehr Geld durch die Einspeisung von Giulias Bewusstsein, ihrer Lebensenergie, ja ihrer Lebenskraft ins Internet.
Das menschliche Bewusstsein ist ein Bündel von Informationen. Unvorstellbar vieler Informationen, die nach Millionen Jahren biologischen Fortschritts auf bewundernswerte Art aufgebaut und geordnet sind. Das menschliche Bewusstsein ist Nahrung vom Feinsten für das Internet.
Das menschliche Bewusstsein ist eine kostbare Energieform für die Aufrechterhaltung des Internets, unabdingbar für die Verstärkung dieses planetaren Spinnennetzes, das die Erde wie ein unsichtbarer Kokon überzieht, wie ein kolossaler Vampir, der Daten absorbiert, in Umlauf bringt und kanalisiert.
Dieser Vampir filtert menschliches Bewusstsein zu Schleuderpreisen aus unzähligen Holomodems auf dem ganzen Planeten heraus. Und die Versorger des Internets – die unzähligen Gesellschaften für Informationsverwaltung von Amerika bis zum Ring des Pazifik – bezahlen gut für jede menschliche Seele, die in seinen virtuellen Schmelztiegel fällt.
Seit Jahren mache ich diese Arbeit nun schon. Ja, ich gebe mich immer noch als Journalist aus und schreibe und verkaufe Artikel, aber nur aus Gewohnheit. Ich werde nicht mehr lange schreiben. Immer öfter gehe ich abends aus und mache mich auf die Suche nach Metahackern. Vorzugsweise Frauen. Irgendwann einmal werde ich so viel gespart haben, dass ich alles hinschmeißen und mir ein Ticket für den Nerva Express kaufen kann – zum Mond.
Dort oben am kranken Himmel gibt es noch den Mond. Den Mond, den wir einst erobert haben und dann, als die Tage des Ruhms vergangen waren, für ein halbes Jahrhundert auf den Müll geworfen haben. Aber im Mare Tranquillitatis in der Nähe des Obelisken des Apollo-Memorials, stehen die Anlagen von Nakamitsu-City, der Kolonie der Unsterblichen, mitten in der uralten staubigen Ebene. Dort, wo eine Hand voll Menschen Jahrhunderte lang leben wird und mit den wundertätigen Medikamenten der Firma Nakamitsu überschüttet wird, die dank der geringen Schwerkraft auf dem Mond eine erstaunliche Wirkung haben. Die Pflegekinder werden Jahrhunderte lang unter dem schwarzen Himmel leben, während die türkisgrüne Erde unbeweglich über ihnen hängt. Die Technologie von heute vollbringt Wunder. Sie ruft Clubs der Unsterblichen ins Leben. Und der Zugang buchstabiert sich in Euro. Irgendwann einmal werde ich so viele davon gespart haben, dass ich zum Mond reisen und Clubmitglied werden kann.
Sakis. Athanassios. Unsterblich.
Ich trat die Golden Joint auf dem Fußboden aus. Ich stand auf und suchte in der Schublade nach einer Bonk-Kapsel. Heute würde ich nicht ausgehen. Aber morgen würde ich zwei Metahacker an Land ziehen. Vielleicht sogar drei.
Pierre Bordage
Wir sind im Bereich der Dystopien gelandet. Und keine Dystopie ist so finster, dass man nicht noch eins draufsetzen könnte. Bot die Welt der vorangegangenen Geschichte noch einen Notausgang, einen Hoffnungsschimmer, egal wiefern und unerreichbar, so zeigt uns Pierre Bordage in der nächsten Geschichte mit der ihm eigenen erzählerischen Wucht, dass auch Zukünfte ohne dergleichen vorstellbar sind.
Pierre Bordage ist der erfolgreichste lebende Autor von Science-Fiction und Fantasy Frankreichs, Punkt. Er hat Auflagen, von denen andere Autoren kaum zu träumen wagen. Die Liste seiner Auszeichnungen weist Preise aus, die manch anderer noch nicht einmal dem Namen nach kennt. Er publiziert bei nicht weniger als sechs Verlagen, und wollte man mit seinem Gesamtwerk in den Urlaub fliegen, man müsste beim Einchecken zweifellos Gewichtszuschlag bezahlen. Pierre Bordage ist der einzige Science-Fiction-Autor Frankreichs, der vom Schreiben fantastischer Literatur leben kann, und er kann es nicht nur aufgrund seiner erzählerischen Fähigkeiten, sondern auch aufgrund einer stupenden Produktivität.
Erstaunlicherweise hat dies alles erst spät begonnen. Geboren 1955 in Vendee, das nahe genug bei Nantes läge, um eine Verbindung zu dem einst dort geborenen Jules Verne herstellen zu dürfen, wenn man wollte, verbrachte Pierre Bordage eine Kindheit und Schulzeit, in der nichts auf eine spätere Laufbahn als Schriftsteller hindeutete. Er ging neun Jahre lang ins Karate-Training, nahm
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