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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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über den Fluß gefahren!« gab Gladys zornig zurück. »Wir sind Flüchtlinge aus Schansi und wollen nach Sian. Ich bin mit hundert Kindern unterwegs. Sie nehmen doch wohl nicht an, daß ich auf der anderen Seite warte, bis der Feind uns erwischt, nicht wahr?«
    Von draußen hörte man das ängstliche Gejammer der Kinder: »Laßt sie ‘raus! Laßt sie ‘raus!« riefen sie weinend. Und ein Dutzend kleiner Gesichter drängelte sich am Fenster, kleine Hände zogen sich am Rahmen hoch.
    Der Friedensrichter hatte genug gehört. »Es liegt auf der Hand«, sagte er, »daß das Vergehen dieser Frau, wenn man es überhaupt so nennen will, von der geringfügigsten Art ist.« Er lächelte zu Gladys hinüber. »Wenn Sie Ihre Kinder für einen Augenblick zum Schweigen bringen würden, dann könnte ich Ihnen wohl helfen.«
    Sie ging hinaus. Nach ein paar energischen Worten und unmißverständlichen Püffen trat etwas Ruhe ein. Aus dem Amtszimmer war, wie sie zurückkehrend feststellte, der Polizist inzwischen verschwunden.
    »Jeden Morgen«, sagte der Richter, »verläßt ein Zug Mien Chu und fährt am Fluß entlang in Richtung Sian. Er fährt zwar nicht durch bis Sian, weil die Berge dazwischenliegen und die Linie ins Inland abbiegt, aber er kann Sie doch wenigstens ein gutes Stück Ihrer Reise mitnehmen.«
    »Wir haben aber leider«, wandte Gladys schüchtern ein, »keine Fahrkarten und auch kein Geld dafür.« Der Beamte zerstreute schnell ihre Bedenken: »Heutzutage sind alle Züge in Honan Flüchtlingszüge. Von niemandem werden Fahrkarten verlangt. Gehen Sie einfach morgen früh mit Ihren Kindern auf den Bahnhof und steigen Sie ein.«
    Gladys dankte ihm und ging mit ihrer Horde zum Flüchtlingslager zurück. Nachmittags führte sie sie alle zu einem Teich am Rande der Stadt, wo sie versuchten, wenigstens den schlimmsten Schmutz von ihren Kleidern und Körpern abzuwaschen. Am Abend versammelten sich alle im Hof, und Gladys hielt ihnen einen kleinen Vortrag.
    »Ihr wißt doch alle, was ein Zug ist, ein Eisenbahnzug, nicht wahr?« fragte sie zuerst.
    Die Frage löste ein aufgeregtes Geschnatter aus. Nein, die meisten wußten doch nicht, was ein Zug ist. Was ist ein Zug? Sie hatten noch nie etwas von einem Zug gehört.
    Gladys erklärte es ihnen und versuchte, seine Geräusche nachzumachen, was begeisterte »Oh«s und »Ah«s und große Vorfreude auslöste. Sualan, Ninepence, Teh, Liang und die großen Jungen zeigten sich dem kommenden Experiment gegenüber abgeklärt und überlegen. Natürlich hatten sie schon von Zügen gehört. Kein Grund zur Unruhe! Innerlich aber waren sie furchtbar aufgeregt.
    »Morgen früh tretet ihr alle mit sauberen Händen und Gesichtern an. Mit schmutzigen Händen oder verschmiertem Gesicht wird niemand in den Zug gelassen.« Nach dieser kleinen Ansprache zerstreuten sich die Kinder wieder, um zu spielen und den anderen Flüchtlingen im Tempel möglichst lästig zu fallen, bis sie endlich in ihr Bettzeug krabbelten, von wo aus es noch eifrige und endlose Gespräche über das unglaubliche Ereignis gab, das ihnen bevorstand. Und dann fielen sie ganz plötzlich in den brunnentiefen Schlaf, den die Natur den ganz Jungen und Unschuldigen schenkt.
    Schon in der Morgendämmerung waren sie wieder auf, schnürten eifrig ihre Bettenbündel und beeilten sich, um an dem großen wassergefüllten Steinbassin im Hof die ersten zu sein und an Gesichtern und Händen mit eifrigem Bemühen die blaßgelbe Farbe zum Vorschein zu bringen, die von der allmächtigen Ai-weh-deh verlangt wurde. Darm traten sie an, um sich ihre Schüsseln mit dampfender Hirse füllen zu lassen, schoben emsig den dicken Brei mit flinken Stäbchen in ihre offenen Münder und hatten in erstaunlicher Gemeinschaftsarbeit bereits eine lange Schlange gebildet, ehe Gladys nur ihre eigenen Betten fertig zusammengebunden hatte.
    Sie bedankte sich herzlich bei der Frau, die das Flüchtlingslager leitete, und mit Lachen und Jubel und Schwatzen ging es zum Bahnhof von Mien Chu. Die Station bestand nur aus einem Betonstreifen neben den Gleisen; wenn je ein Dach vorhanden gewesen war, so hatten es die Bomben längst weggefegt — aber schon diesen Bahnsteig fanden die Kinder sehr verheißungsvoll.
    Gladys war es gelungen, sie in drei zappeligen Reihen aufzubauen. Die Spannung war atemraubend, und richtig, schon nach einigen Minuten hörte man, noch ganz fern, das Rattern des Zuges! Hundert Kinder machten lange Hälse, wenn auch mit vor geheimer Angst

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