Eine unbegabte Frau
möchte Ihren Glauben annehmen. Ich möchte Christ werden!«
Ein Gemurmel der Überraschung lief um den Tisch. Gladys war so erstaunt, so tief berührt, daß sie kein Wort hervorbrachte. Die Versammelten nickten und lächelten, und sie war sich bewußt, daß eine Antwort von ihr erwartet wurde. Sie stand auf und brachte stammelnd ihre Überraschung, ihre Freude und ihren Dank zum Ausdruck. Der Mandarin sah, wie verwirrt sie war, und half ihr. »Wir wollen später darüber reden, Ai-weh-deh«, sagte er, und sie war froh über seinen Vorschlag. Zu heftig bewegte sie das Gefühl, daß ihr hier die wichtigste Bekehrung all ihrer Chinajahre geschenkt worden war; sie vermochte selbst noch kaum daran zu glauben. Das Gespräch wandte sich nun wieder dem Vormarsch der Japaner zu. Wie würden sie dieses Mal mit der Stadt verfahren?
Der Gefängnisdirektor hatte seine eigenen Sorgen. Als der Feind das erste Mal erwartet wurde, ließ er seine Gefangenen fesseln und abmarschieren, in das Land hinaus. Damals hatten sie, aneinandergekettet, die Zeit in einer Berghöhle abgewartet, und die Bevölkerung mußte nicht fürchten, daß die Verbrecher in den Wirren des Angriffs sich befreiten und in die aus der Ordnung geworfene Stadt stürzten. Aber sie zu bewachen und außerdem mit Essen zu versorgen, war äußerst schwierig gewesen; er konnte diese Aufgabe nicht noch einmal auf sich nehmen. Sollte er nun die Gefangenen freigeben oder sie hinrichten lassen? Man stimmte darin überein, daß die Hinrichtung der sicherste Weg sei. Mörder und verwegene, skrupellose Burschen befanden sich unter den Häftlingen. Gladys protestierte. Es müsse sich doch eine menschlichere Lösung finden: Warum sie nicht zu ihren Freunden oder Verwandten entlassen, die für ihr weiteres Verhalten verantwortlich gemacht werden müßten? Der Gefängnisdirektor nickte bedächtig. Er wollte es versuchen. Aber wenn die Japaner heranrückten und eine Reihe Gefangener noch keine Bürgen gefunden hätte, so müsse er diese im Interesse der allgemeinen Sicherheit eben doch köpfen lassen. Am Ost- und Westtor waren am nächsten Tag Plakate angeschlagen, die Freunde und Verwandte aufforderten, einem Gefangenen Kost und Wohnung zuzusichern. Sie mußten zugleich die Bürgschaft für sein Verhalten übernehmen, außerdem hatten sie zum Zeichen ihres guten Willens neunzig Zhen zu zahlen. Der Stadtausrufer verkündigte in den Straßen den gleichen Beschluß.
Würde die Amnestie Erfolg haben? Gladys suchte am nächsten Abend das Gefängnis auf, um sich danach zu erkundigen. Das Resultat war recht enttäuschend: zwölf Männer hatten noch niemand gefunden, der sie aufnehmen wollte oder konnte. Als Gladys den engen, niederdrückenden Hof betrat, kamen Feng, der buddhistische Priester, und Sheng-Li, mit dem sie zuweilen schon lange Gespräche geführt hatte, auf sie zu, um sie zu begrüßen. Nach lokalen Begriffen war Sheng-Li ein gebildeter Mann. Er konnte lesen und schreiben und verstand sich ausgezeichnet auf Geldgeschäfte. Für dieses Gebiet brachte er vielleicht zu viele Fähigkeiten mit: er hatte nämlich einen tucheng gefälscht, ein Steinsiegel, das von wohlhabenden Leuten benutzt wird, um ihre Amtspapiere zu stempeln. Jedes Siegel trägt deutliche, ganz charakteristische Markierungen. Sheng-Li hatte den tucheng eines reichen Kaufmanns gefälscht und bezog infolgedessen angenehme Einkünfte, bis sein Vergehen entdeckt wurde.
Er war ein fröhlicher kleiner Mann, und Gladys hatte ihn sehr gem. Fünfzehn Jahre Gefängnis hatte er noch abzusitzen, und voller Mitleid erbot sich Gladys, für ihn zu bürgen. Beim Verlassen des Hofes aber folgten ihr Fengs Augen so niedergeschlagen, daß sie sich zurückwandte und sagte, sie wolle die neunzig Zhen zahlen und auch noch für ihn die Bürgschaft übernehmen. Gefolgt von den beiden Befreiten ging sie zurück zu der Herberge »Zu den Acht Glückseligkeiten«, um mit den Vorbereitungen für ihre Umsiedlung nach Bei Chai Chuang zu beginnen. Dieses Mal wollte sie rechtzeitig vor dem Eintreffen der Japaner über alle Berge sein. Früh am nächsten Morgen nahm Gladys Abschied vom Mandarin und vom Gefängnisdirektor, der sehr beunruhigt war, denn für acht seiner »Schützlinge«, darunter zwei abgeurteilte Mörder, wollte sich kein Bürge finden.
»Was haben sie verbrochen?« fragte Gladys.
»Die Götter in der Grünen Pagode hatten kostbare Juwelen in den Augen und Ohren«, erklärte der Direktor. »Die beiden Männer wurden von
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