Eine unbegabte Frau
japanische Offizier liebenswürdig, »werden wir dir zeigen, wie wir Christen behandeln, die sich weigern, uns zu helfen.«
Sie banden ihn an einen Pfahl vor seinem eigenen Hause, verbarrikadierten die Tür, so daß seine Frau und die Kinder nicht mehr herauskonnten, dann setzten sie das Haus in Brand. Unter den höhnenden Zurufen der Japaner hörte er die Schreie der gefangenen Frau und der Kinder, die ihn fast zum Wahnsinn trieben. Das Feuer war schon erloschen und die Japaner nach Yang Cheng abmarschiert, wo sie furchtbar wüteten; ihn aber hatten sie an seinem Pfahl hängen lassen; erst beim Einbruch der Nacht krochen Hsi-Liens Nachbarn von den Hügeln herunter und befreiten ihn. Vor Verzweiflung völlig von Sinnen, rannte er den Bergen zu. Er hatte gehört, daß Gladys in Bei Chai Chuang war.
Er taumelte in ihre Lazaretthöhle, als sie gerade die Spritze für die Verwundeten vorbereitete. Er konnte nur unzusammenhängende Wortfetzen stammeln, und es verging einige Zeit, ehe sie das Entsetzliche in seinem vollen Umfang erfaßte. Gladys hatte schweigend zugehört. Sie konnte nichts tun, um ihn zu trösten; nur der Toten konnte man gedenken an der Stelle, wo sie hingemordet worden waren. Eine kleine Gruppe: Gladys, die Bibelfrau, zwei kräftige Bauern und der einsame Hsi-Lien wanderten zusammen den Weg über die Berge nach Chauchun. In der Abenddämmerung erreichten sie den Ort und sammelten sich mit einigen Dorfbewohnern in Hsi-Liens früherem Hof, der nun hochauf mit verkohlten Trümmern gefüllt war.
Gladys stand auf dem Trümmerhaufen, ein wenig über den anderen, und sie alle senkten die Köpfe, als sie aus ihrer Bibel vorlas: »Euer Herz erschrecke nicht. Glaubet an Gott, und glaubet an mich. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, so würde ich zu euch sagen: ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf daß ihr seid, wo ich bin.«
Gladys blickte Hsi-Lien an, den Maultiertreiber, der mit gebeugtem Kopf vor ihr stand. Tränen rannen über seine Wangen — ein Mann, der Sohn, Tochter, Frau und Haus verloren hatte. Das Mitleid mit ihm drückte ihr das Herz zusammen. Als sie zurückging über die Berge nach Bei Chai Chuang, nahm sie ihn mit sich.
Im Herbst und Winter und im zeitigen Frühling 1939 teilte Gladys ihre Zeit zwischen Bei Chai Chuang, Yang Cheng und den Dörfern der Provinz, wo kleine christliche Gemeinden entstanden waren. Ihre Arbeit als Fußinspektorin war überflüssig geworden — ein Luxusberuf, der die Bombenangriffe nicht überlebte. Wichtigeres gab es nun zu tun, als Füße zu untersuchen. Die Herberge »Zu den Acht Glückseligkeiten« war wie ausgestorben. Der Handel entlang der alten Straße hatte aufgehört, denn seit Luan in Feindeshand war, konnte man nicht über Tsechow hinausgelangen, und nur noch wenige ihrer alten Freunde unter den Maultiertreibern suchten die Herberge auf, seit sich die Strecke so verkürzt hatte. Chang, der Koch, war verschwunden, und mit ihm der gute Geist des Hauses. Als die Japaner in Yang Cheng eindrangen, war er in sein Heimatdorf in den Bergen geflohen. Gladys hat nie erfahren, was weiter mit ihm geschah; jedenfalls kehrte er nicht wieder, und nur die Nachricht von seinem Tode erreichte sie. Wie er starb, darüber fehlte jede Nachricht. Chang war ein alter Mann, und sein Tod konnte durchaus natürliche Ursachen haben; aber sie glaubte nicht recht daran. Er war ein so rebellischer, ungeduldiger Alter gewesen, daß die Vorstellung eines ruhigen, friedlichen Todes in diesen Zeiten nicht seiner Natur entsprach. Gladys trauerte um Chang; er war immer ein zuverlässiger Freund gewesen, gerade wenn sie Freundschaft am nötigsten brauchte.
Sie war oft knapp an Geld in diesen Tagen. Von Zeit zu Zeit sandte ihre Mutter eine Postanweisung, und bei dem günstigen Wechselkurs konnte sie mit wenigen Schillingen monatelang auskommen. Zwar bedeutete Geld nicht viel, aber Gladys, die vollständig mit ihrem Lebensraum und dessen Menschen verwachsen war, handelte wie sie alle: wer in diesen schlimmen Jahren Nahrung und Unterkunft hatte, teilte beides mit den anderen.
Entsetzen fuhr wie ein Sturm durch die Straßen Yang Chengs, als sich im Frühling 1939 wieder die Nachricht verbreitete: die Japaner nähern sich dem Hochland! Trotzdem verließ die Bevölkerung Haus und Hof nur widerstrebend; immer noch hofften die Menschen, der japanische
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