Eine unbegabte Frau
sich her. Wütend schrie sie sie an, als jetzt das metallische Stottern der Maschinengewehre das Brüllen der Motoren durchbrach. Sie warf sich auf den Boden und barg den Kopf in den Armen zu ihrem eigenen Schutz und um die Schreckensszene nicht ansehen zu müssen. Die Erde schüttelte sich, grausig zitterte der Schrei der getroffenen Pferde. Unvorstellbar waren die Stimmen der Tiere und Menschen, als die Maschinen über die Reihen der Flüchtenden und Reiter hinwegdonnerten und alles unter sich niedermachten. Offenbar hatten Aufklärungsflugzeuge am Abend vorher den Einzug der chinesischen Kavallerie in Lingchuang beobachtet, es war also mit Sicherheit anzunehmen, daß sie beim ersten Tageslicht den Schutz der Berge aufsuchen würden. Sie hatten richtig gerechnet: es war nun ein leichtes, das Werk der Vernichtung durchzuführen. Tote und Sterbende, Männer, Frauen und Kinder brachen zusammen gleich Marionetten, deren Drähte plötzlich losgelassen werden. Die Straße war verstopft von qualvoll sich windenden oder schon reglosen Körpern. Pferde ohne Reiter, mit blutunterlaufenen Augen, die Köpfe hoch emporgeworfen, sprangen über die kleine Mauer am Straßenrand und jagten in irrsinnigem Schrecken durch das Weizenfeld. Diese Schreie, diese Panik waren schrecklicher als alles, was Gladys jemals vorher erlebt hatte. Über der Stadt und entlang der Straße mit den von Maschinengewehrkugeln durchlöcherten, verdrehten, im Todeskampf sich bäumenden Körpern flogen die Maschinen wieder und wieder ihre dröhnenden Runden. Gladys’ Finger gruben sich tief in die Erde; diese entsetzliche Spanne Zeit verrann langsam und schicksalvoll wie ein ganzes Menschenleben. Dann wandten sich die silbernen Teufel zu einem weiten Kreis, um das Blutbad zu übersehen und endlich abzudrehen und in der Ferne ab winzige Punkte zu entschwinden.
Zitternd erhob sich Gladys. Der Anblick — vielleicht einem Landsknecht vergangener Jahrhunderte vertraut — war für Gladys Aylward — Missionarin, Christin und Frau — fürchterlich; ihre Phantasie hätte sich keine Hölle grauenerregender vorstellen können. Tote Pferde, tote Männer, Frauen und Kinder; klaffende Wunden, verströmendes Blut, Schreien und Jammern und Stöhnen in Todesnot. Fetzen und Stücke der mitgebrachten Habe weit umher verstreut, geplatzte und verlorene Bündel im Korn liegend, in das die Menschen Deckung suchend gerannt waren. Reiterlose Pferde hinkten oder galoppierten ziellos über das Gelände. Thimothy und Sualan klammerten sich an Gladys’ Jacke, noch immer keines Wortes mächtig. Die zwei Bauern, der Evangelist und der Doktor mit seiner Frau sahen Gladys hilfesuchend und stumm an. Dieses plötzliche Hineingerissensein in ein solches Gemetzel hatte ihre Entschlußkraft, ja sogar ihren Selbsterhaltungstrieb völlig gelähmt. Über die Hügel lebloser menschlicher Körper hinweg konnte man das Chaos am Tor erkennen. Menschen- und Tierleichen lagen übereinandergehäuft und verrammelten den Eingang. Innerhalb des Stadttores schrien die Menschen und halfen sich gegenseitig hoch, um über den Berg von Körpern das Freie zu erreichen.
Jeder Schlag ihres Herzens rief Gladys zu: Flieh hinauf in die Berge, verlaß dieses gespenstische Schlachtfeld und verstecke dich in den Schluchten vor all diesem Grauen!
Stumm stand sie da. Hunderte von Verwundeten waren ohne Hilfe. Das Tor mußte so schnell wie möglich geräumt werden!
Sie sah hinüber zu dem chinesischen Arzt, einem mageren jungen Mann, dessen sehniger Hals von einem zu engen Kragen eingezwängt wurde. Erschrockene Augen blickten in die ihren, und sie verstand es gut: er hatte gerade erst seine Ausbildung beendet und konnte sich mit seinen frischen Kenntnissen einer solchen Aufgabe schwerlich gewachsen fühlen! Mit einem tiefen Atemzug suchte sich Gladys zu beruhigen; dann zwang sie sich zu handeln.
Den zwei Bauern rief sie zu: »Ihr übernehmt die Frauen und Kinder und bringt sie in die Berge. Dort warten sie auf uns. Der Doktor und ich bleiben hier, und heute abend werden wir uns oben in den Bergen treffen.« Sie sah den Arzt an, während sie sprach. Nervös nickte er.
Die Frauen und Kinder suchten ihre geringe Habe zusammen und hasteten davon. Gladys winkte ihnen zu, drehte sich um und ging eilig mit dem jungen Arzt zurück zum Tor. Unterwegs sprach sie jeden unverletzten Mann an, munterte ihn auf, drohte und schalt, und so gelang es ihr tatsächlich, eine kleine Gruppe zusammenzubringen, die das Tor freimachen
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