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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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sollte.
    Schreckensbleich und noch ganz benommen folgten ihr die Menschen. Einige, die weinend bei den Teichen ihrer Angehörigen kauerten, waren durch kein Zureden aus der Erstarrung ihres Leides zu lösen.
    Sie kamen zum Tor. Tote Menschen, Pferdeleichen und Gepäckstücke waren hoch aufeinandergeschichtet, eine groteske Barrikade, über die die Stadtleute hinwegzuklettern versuchten. Angesichts der Aufgabe, die sie vor sich sah, hatte Gladys schnell ihre Geisteskräfte wiedergefunden; sie lief herum und schrie ihren Helfern Befehle zu. Sie zogen die Leichen zur Seite, so daß ein Durchgang frei wurde. Dann wandte sie sich zu den Verwundeten, und mit Hilfe des Arztes brachte sie ihnen die erste Linderung. Soldaten, deren Pferde getötet, die selbst aber unverletzt geblieben waren, halfen mit, und am späten Nachmittag erschien eine weitere Truppe, um das Schlachtfeld zu säubern. Gladys und der Arzt hatten vom Morgendämmern an alles getan, was in ihren Kräften stand, und beschlossen, zu den Ihren zurückzukehren. Das Militär hob Gräben aus für die Toten und trug das zerstreut herumliegende Eigentum, all diese erbärmlichen Bündel und Beutel, zu einem hohen Haufen zusammen, wo es später sortiert werden konnte.
    Halb betäubt, blutbefleckt, erschöpft gingen Gladys und der junge Doktor langsam den Weg hinauf zu den Bergen. Sie waren zu müde, um zu sprechen, zu erschüttert, um das furchtbare Geschehen innerlich zu verarbeiten. Als sie ihre Kräfte noch einmal für den letzten Anstieg sammelten, fühlte Gladys plötzlich Tränen ihre Wangen herunterrinnen. Sie schluchzte und schnüffelte eine halbe Stunde lang, bis der Staub ihre Augen trocknete. Im Schutz einer Wegkehre fanden sie die Frau des Arztes und seine Mutter, Chung Rumai, den Evangelisten mit Frau und Kindern, Thimothy und Sualan. Gerüchte und Gegengerüchte hörte man überall. Hinundhergerissen von panischer Angst wußten die Menschen nicht, was sie tun, wie sie sich verhalten sollten; wo man hinhörte, überall wurde gekämpft. Gladys wußte, daß in dieser Situation der einzig sichere Platz nur in den Bergen war, weitab von jeder Siedlung. Es war kein ungewöhnlicher Aufenthalt für sie: wie viele Nächte hatte sie in den letzten zwei Jahren unter freiem Himmel verbracht oder Zuflucht in dunklen, feuchten Berghöhlen gesucht! Das Korn, das sie bei sich hatten, reichte mehrere Tage. Nach einer kurzen Besprechung kamen sie überein, daß ein Ausweichen in das Hochland das beste war, denn sollte der heutige Angriff Teil einer japanischen Offensive sein, so wären die fünf Städte: Tsechow, Yang Cheng, Shin-Schui, Kaoping und Lingchuang schnell in Feindeshand.
    Müde und in tiefer Niedergeschlagenheit stapfte die kleine Gruppe weiter, abseits vom Weg und immer höher hinauf in die Berge. Als es dunkelte, krochen sie unter einen Felsvorsprung; am nächsten Morgen setzten sie sich wieder in Marsch. Die alte Mutter des Arztes schalt und stöhnte, und sie alle wurden die nagende Angst nicht los. Nicht einmal die Berge, die sie schweigend und schroff umstanden, mit ihren engen Schluchten und steilen, nackten Wänden gaben ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Den ganzen nächsten Tag suchten sie sich ihren Weg tiefer in das Gebirge hinein. Am Nachmittag entdeckten sie eine große trockene Höhle auf halber Höhe eines steilen Abhangs. Die Kinder und Frauen waren sehr müde und mochten nicht weiter; schwarze Gewitterwolken zogen sich am Himmel zusammen und füllten den Horizont mit unheilverkündendem Violett. Als sie in die Höhle hineinkrochen, brach der Sturm los, und Regen klatschte vom Himmel herunter. Gladys saß zusammengekauert, die Arme um ihre Knie geschlungen, müde und elend, und beobachtete, wie der Regen gleich einer Wand aus Glas vor dem Eingang der Höhle hing. Aber schon wieder ließ ein Gedanke sie auf springen; sie ergriff den eisernen Kochtopf, den sie mitgenommen hatte, und stellte ihn hinaus, um das Wasser hineinlaufen zu lassen. Auf dem Boden der Höhle fand sie trockene Äste und alten Tierdung. Sie zerbrach das Reisig und schichtete es mit dem Dung zwischen zwei niedrige Felsbrocken, dann setzte sie den Topf fest darauf und zündete die Sträucher an. Über der hochlodernden Flamme kam das Wasser schnell zum Kochen. Sie tauchte groben Zweigtee in das Wasser, und nach wenigen Sekunden saßen alle eng beieinander und nippten an ihren Schalen mit der dampfenden aromatischen Flüssigkeit. Sie legten noch mehr Holz auf das Feuer, und

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