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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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während es draußen dunkelte, huschten ihre Schatten die Wände hinauf bis zum Dach der Höhle. Und nun endlich — vielleicht wie einmal den Neandertalern — kam ihnen das Gefühl der Sicherheit. In einem zweiten Topf kochte Gladys ihre Ration Hirse, und sie spülten den körnigen Brei mit brühheißem Tee hinunter. Hunger und Durst waren nun gestillt, und in der Wärme des Feuers zog langsam Ruhe in ihre Herzen ein. Sie wurden müde, und als das Dunkel schwärzer wurde und der Regen mit wachsender Gewalt herunterprasselte, legten sie sich nieder und schliefen auf dem warmen sandigen Boden der Höhle ein.
    Sechs Wochen blieb dies ihre Wohnung; für ihr Lager holten sie sich trockene Binsen aus dem Tal. Die nächste Wasserstelle war zwar fünf Kilometer entfernt, aber sie sahen darin nur eine zusätzliche Sicherung. Ein Dorf lag nahe bei der Quelle, dort kauften sie sich Eier und Korn. Ihr Erscheinen verursachte keinerlei Aufsehen; Flüchtlinge waren ein gewohnter Anblick. Ihre schlimmsten Feinde aber waren die Wölfe, die hier heimisch waren. Fast jede Nacht stöberten sie in der Nähe der Höhle, und Gladys, der Arzt und der Evangelist hielten abwechselnd Wache. Meistens genügte ein gutgezielter Stein, um sie davonzujagen; nur wenn zu viele kamen oder wenn sie frecher waren als gewöhnlich, zündete man ein Feuer an.
    Unten in Lingchuang war Linnan in ein Drama verwickelt, von dem Gladys nichts wußte. Die Absicht der Japaner, nach den Bombenangriffen das Heer nachstoßen zu lassen, war gescheitert und die Stadt noch immer in den Händen der Nationalisten. Kaum hatte Linnan von dem Überfall gehört, so eilte er in die Stadt. Er wußte, daß Gladys die Mission besucht hatte, war aber ohne Nachricht von ihr geblieben. Sie konnten ihm dort nichts weiter sagen, als daß Gladys am frühen Morgen die Mission verlassen hatte und seitdem nicht mehr gesehen worden war.
    Als Hauptmann im Dienst der Nachrichtentruppe dieses Bezirks war es seine Pflicht, dafür zu sorgen, daß seine Leute die Verwüstungen der Schlacht beseitigten. Am zweiten Morgen nach seiner Ankunft in Lingchuang lag auf seinem Tisch ein Kirchengesangbuch. Soldaten, die nicht genau wußten, was es war, hatten es vom Kornfeld aufgelesen und brachten es zur Prüfung ihm ins Haus. Es war Gladys’ Eigentum, er erkannte es sofort. Erregung und Unruhe erfüllten ihn. Er ging umher und befragte die Soldaten, die die Toten begraben hatten. Niemand konnte sich an eine »fremde Tote« erinnern. In zwei Fällen waren die Soldaten im Zweifel, wer in einer bestimmten Grube bestattet war; Linnan befahl die Wiederöffnung, damit er sich selbst überzeugen konnte. Dann, da Gladys nirgends zu finden war und ihm ihre Vorliebe für die wilde Bergwelt einfiel, sandte er Boten in die nahen Dörfer, um sich nach ihrem Verbleib zu erkundigen. Bei jeder möglichen Gelegenheit forschte er selbst nach ihr.
    Gladys in ihrer weitabgelegenen Höhle wußte nichts von alledem. Schon drei Wochen lebten sie hier in ihrem Unterschlupf, und das Gefühl des Geborgenseins machte die Unbequemlichkeiten eines fast steinzeitlichen Lebensstils wieder wett. Oft, wenn Gladys das Nörgeln der alten Dame oder das Schwatzen der anderen Frauen zuviel wurde, kletterte sie ein wenig die Abhänge hinauf, suchte sich einen geschützten Platz in der Sonne und las stundenlang in ihrer Bibel.
    Eines Nachmittags saß sie so, bequem angelehnt an einen Felsbrocken, etwa einen Kilometer von ihrer Höhle entfernt ganz allein, als sie plötzlich eine Bewegung in ihrer Nähe hörte. Erschrocken sah sie auf. Ein Bauernjunge von fünfzehn oder sechzehn Jahren stand da in zerschlissenem blauem Jackett und ebensolchen Hosen, den Strohhut auf dem Kopf. An seinem Arm hing ein Korb mit einem halben Dutzend Eier. Gladys’ Mißtrauen war sofort wach. Der Bursche sah sie an.
    »Wer bist du?« fragte sie scharf.
    »Ich möchte Eier verkaufen«, antwortete er. Gladys’ Augen kniffen sich zusammen bei dieser offensichtlichen Lüge.
    »Warum willst du sie gerade hier verkaufen?« Ihrer Stimme hörte man die verhaltene Energie an. Er blickte mit stumpfem Gesichtsausdruck auf sie.
    »Ich weiß nicht.«
    »Du bist doch nicht über die Berge gewandert, um mir hier Eier zu verkaufen«, sagte sie feindselig. »Nicht wahr?«
    Er senkte die Augen und scharrte verlegen mit den Füßen.
    »Du kannst nun wieder nach Hause gehen und den Leuten, für die du spionierst, sagen, daß wir alle hier sind«, schloß sie wütend. Hatte

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