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Eine unbegabte Frau

Eine unbegabte Frau

Titel: Eine unbegabte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Burgess
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sich erkennen. In blaßblauen Spiralen stieg er langsam zum klaren Abendhimmel auf. Die Talsohle selbst, auf der der Feind lagerte, war hinter einem großen Felsvorsprung verborgen. Gladys hatte schon öfters in den Sommermonaten, seit sie die Berge verlassen und nach Tsechow zurückgekehrt war, ähnliche Aufträge übernommen. Sie hob die Hand zum verabredeten Zeichen, und der junge Offizier der Nationalarmee kletterte nun gleichfalls auf den Grat zu ihr hinauf. Seine Füße lösten ein paar Steine vom Felsen, und sie blickte ihnen nach, wie sie abwärtshüpften bis in die Nähe des Trupps Soldaten, die, die Gewehre mit dem Lauf nach vom fest unter den Arm geklemmt, sich am Berghang entlang vorwärtspirschten. Sorgfältig strich der Offizier mit dem Fernglas das Tal ab.
    »Siebzig sind es etwa, sagen Sie?« fragte er.
    »Ich habe sie heute früh so sorgfältig wie möglich gezählt«, erwiderte Gladys. »Ich kann mich nur um wenige geirrt haben.«
    »Ja, es ist bestimmt anzunehmen, daß sie morgen bei Tagesanbruch auf der Straße nach Tsechow abziehen werden«, sagte er eifrig.
    »Überall sind Posten aufgestellt, Sie müssen also sehr vorsichtig sein«, warnte ihn Gladys. »Einer hat mich heute morgen entdeckt, als ich über den Grat wollte, aber zum Glück war die Schlucht dazwischen, er konnte gar nichts machen.«
    Der Mann nickte, er hörte kaum mehr zu; im Geist suchte er schon den günstigsten Platz für das Maschinengewehr und verteilte seine Leute so, daß sie das ganze Tal bestreichen konnten. Gladys war in den Plan eingeweiht — der Angriff sollte beim ersten Tageslicht beginnen, die Chinesen von beiden Seiten in das natürliche Becken einfallen, wo die Japaner, durch das vorbereitende Feuer überrascht, verwirrt wären. Die Nationalisten hatten nur dreißig Mann, doch waren es Nordtruppen, große, zähe junge Männer, die sich heldenmütig und haßerfüllt schlugen. Sie sollten sich auf die Japaner stürzen und das Gefecht mit einem blutigen Nahkampf beenden. Bis zum letzten Mann würde der Feind kämpfen und bis zum letzten Mann vernichtet werden. Natürlich mußte man auch auf seiten der Chinesen mit Verlusten rechnen.
    »Sie werden jetzt wohl zurückgehen?« fragte der Offizier und wandte sich wieder Gladys zu. »Sie haben uns gut geführt, Ai-weh-deh.«
    »Ja, ich gehe wieder zurück«, sagte sie müde. Sie war seit Sonnenaufgang auf den Füßen, hatte die Heine christliche Gemeinde in Po-Roen-Tsun, einem einsamen Dorf in den Bergen, frühmorgens verlassen, um nach Yang Cheng zu gehen. Auf ihrem Weg quer durch das Gebirge hatte sie beobachtet, daß japanische Truppen vorsichtig längs des trockenen Flußbettes ihren Weg nahmen. Sofort sagte sie sich, daß es ungewöhnlich leichtsinnig von ihnen war, sich in so Heiner Zahl so weit in die Berge hineinzuwagen. Wo die nationalistischen Truppen lagerten, wußte sie; sie beschloß, einen Umweg zu machen, um eines ihrer Lager, das in den Bergen gut versteckt lag, aufzusuchen. Auf ihre Nachricht hin wurden ihr sofort ein Offizier und dreißig Mann beigegeben, um sie zu begleiten; sie besaß zwar einen vom Kommandierenden General in Tsechow Unterzeichneten Paß, doch brauchte sie ihn meist nicht einmal vorzuzeigen: die Führer der nationalistischen Einheiten in diesem Teil Schansis wußten, wer sie war. Sie kannte die Berge in diesem Gebiet weit besser als die Bewohner der Gegend und selbstverständlich besser als die Truppen. Ihre jahrelangen Wanderungen über die Pässe und Sättel oder durch die Täler, zu Fuß oder auf dem Maulesel, fern jeder menschlichen Siedlung, hatten ihr eine ungewöhnliche Kenntnis des Gebirges von Nordschansi vermittelt.
    Es war nicht das erstemal, daß sie ihre Fähigkeiten für die Nationalisten eingesetzt hatte. In diesem fast mittelalterlich-primitiv geführten Krieg gab es keine festen Stellungen. Die Japaner hielten die Städte besetzt und ließen ihre Divisionen auf allen passierbaren Verbindungswegen vorgehen. Die Nationalisten dagegen lebten in den Bergen und wandten die Taktik von Partisanen und das Prinzip der »Verbrannten Erde« an.
    Mit ihrer Bibel kam Gladys sowohl durch japanisch besetzte wie durch nationalistische Orte. Auch wenn die Japaner wußten, daß sie sich in ihrem Terrain aufhielt, nahmen sie keine Notiz davon, denn sie unterschied sich nicht von den Tausenden von Flüchtlingen, die überall im ganzen Land in Bewegung waren. Sie ahnten nicht, daß Gladys die jeweiligen Stellungen des Feindes sorgfältig

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