Eine unbegabte Frau
verstand; und er wußte, daß sie verstand: dieses Problem, quälend für sein christliches Gewissen. Auch sie hatte in unzähligen stillen Gebeten versucht, irgendeinen klaren Weg zu finden, dem sie ohne Zögern folgen, auf dem sie ihr Handeln aufbauen konnte.
Sollte er — oder sollten sie — beiseite stehen und zusehen, wie die Kräfte des Bösen mit brutaler Gewalt in jede Ecke ihrer Provinz griffen — oder sollte er — sollten sie beide — das Schwert aufnehmen und im Namen Gottes die schlimme Hand treffen, wo ihr Griff ihnen nahekam? Die Politik der Japaner war einfach. Seit Jahren hatten sie ein Beispiel dieser »Politik der Herrenrasse« in ihrer Kolonie Nordkorea geliefert. Die Japaner waren Aristokraten, die Koreaner Sklaven! Kein Koreaner wurde zur höheren Erziehung zugelassen; kein Koreaner konnte zu einem bedeutenderen Verwaltungsposten aufsteigen. Sie wurden auf ein proletarisches oder bäuerisches Niveau gedrückt und dort gehalten. Hitler wandte dieselben Prinzipien auf der anderen Hemisphäre an, und schon wurden sie auch den Teilen Nordchinas aufgezwungen, die in der Hand des Feindes waren.
In seiner abgelegenen Mission in Südschansi hatte Ley, der junge katholische Priester, seine Entscheidung allein in der Auseinandersetzung mit seinem Gott und seinem Gewissen zu treffen. An einem klaren, kalten Morgen hatte er seine Christen im Hof der Mission versammelt und gesagt: »Wir werden den Feind mit der einzigen Waffe, die er kennt, bekämpfen: Gewalt! Wir werden ihn töten, wenn er schläft oder wenn er unvorbereitet ist. Wir werden ihn aus unseren Bergen treiben, ganz gleich unter welchen Opfern.«
Seine Soldaten — der Kern bestand aus den Christen seiner Gemeinde — waren bronzebraune Nordchinesen mit arbeitsharten Muskeln und einem von den Ahnen überkommenen Zug banditenhaften Freiheitssinnes; sie waren ihm in fanatischer und wilder Liebe ergeben. Er lehrte sie die Taktik der Kriegführung. Sie schlugen mit verheerender Plötzlichkeit zu, töteten alle Japaner, deren sie habhaft werden konnten, erbeuteten ihre Lebensmittel und Waffen und zogen sich mit der gleichen blitzhaften Schnelle wieder in ihre Berge zurück. So ging es schon seit vielen Monaten.
Er saß auf dem rauhen Backsteink’ang im Hause des Aldermanns und sah Gladys über den Tisch hinweg an. Seine Mundwinkel hoben sich ironisch, als er sagte: »Eine gemeinsame große Sache — nicht wahr, Ai-weh-deh?«
Sie kratzte den letzten Rest der Mahlzeit vom Boden ihrer Eßschale. »General Ley?« sagte sie nachdenklich. »Warum nennt man Sie General?«
»Eine Ehrenbezeichnung — aus der Luft gegriffen!« antwortete er, und über sein bewegliches Gesicht glitt jetzt wieder ein Lächeln. »Die Männer haben so etwas gern; wenn sie unter einem General dienen, haben sie mehr Gesicht. Es ist eine rein rhetorische Wendung.«
Sie zögerte einen Augenblick. »Haben Sie keine Angst, daß die Japaner Sie fangen?« Sie wußte, daß es eine naive Frage war.
»Oft, sehr oft. Und Sie?«
»Ich denke kaum daran.«
»Ich habe viel von Ihnen gehört, Ai-weh-deh«, sagte er nachdenklich.
»So? Was haben Sie denn gehört?«
»Manchmal klettern Sie stundenlang dicht hinter den japanischen Linien herum, um Informationen für die chinesische Armee zu sammeln. Das wird wohl stimmen?«
Sie hörte den leise anklagenden Ton in seiner Stimme und sah ihn verwundert an. »Ja«, gab sie ruhig zurück.
Sein Blick hielt sie fest. »Haben Sie nicht die Empfindung, daß Sie die Stellung, die Gott Ihnen zugewiesen hat, verraten?« fragte er kalt.
»Ich verstehe Sie nicht«, entgegnete Gladys verwirrt, und langsam stieg zornige Erregung in ihr hoch. Dann brach eine Flut von Worten aus ihr heraus.
»Gott sieht den Unterschied zwischen Recht und Unrecht!« rief sie heftig aus. »Wir können den Unterschied wohl auch erkennen, nicht wahr? Unser Herr trieb die Wechsler mit Peitschen aus dem Tempel. Die Japaner überschwemmen unser Land plündernd, brennend und mordend. Wir müssen sie austreiben, und zwar mit allen Mitteln, die sich dafür eignen. Die Menschen, die dieser Feind tötet, sind meine Landsleute: gesetzlich, moralisch und geistig meine Landsleute; und ich werde immer tun, was ich kann, um sie zu beschützen und ihnen zu helfen —«
Plötzlich hielt sie mitten in ihrer leidenschaftlichen Rede inne — General Ley lächelte.
»Sie lächeln, um mich unsicher zu machen!« sagte sie vorwurfsvoll. Trotzdem spürte sie, wie wohl es tat, sich das
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