Eine unbeliebte Frau
muss Ihnen doch aufgefallen sein.«
»Das haben Sie doch gestern schon gefragt«, sagte Kampmann.
»Manchmal stelle ich Fragen öfter«, entgegnete Pia, aber sie beschloss, das Thema fürs Erste auf sich beruhen zu lassen, und erkundigte sich stattdessen danach, wann Kampmann Isabel das letzte Mal gesehen habe.
»Sie hatte ihr Pferd vor ein paar Wochen verkauft«, erwiderte er, »seitdem war sie nur noch selten im Stall. Aber am Samstagnachmittag war sie kurz hier.«
»Tatsächlich? Am Samstag? Wann?«
»Gegen Spätnachmittag, aber nur ganz kurz«, gab Kampmann zu. »Sie wollte mit ihrem Mann reden, aber der hatte keine Zeit.«
»Was machte denn Dr. Kerstner an einem Samstagabend hier?«
»Eines von Dörings Pferden hatte einen Unfall«, sagte Kampmann, »deshalb war er hier.«
»Wann war das?«
»Herrgott«, fuhr Kampmann auf, »was weiß ich! Ich guck doch nicht dauernd auf die Uhr! Um sechs oder um halb sieben vielleicht.«
Pia rekonstruierte blitzschnell, dass Isabel also nach ihrem Auftauchen in der Pferdeklinik noch gelebt hatte. Tankstelle, Pferdeklinik, Gut Waldhof. Kurz darauf war sie getötet worden.
»Haben Sie am Samstag mit Isabel gesprochen?«
»Ja«, sagte Kampmann nach einem kaum merklichen Zögern, »aber nicht viel. Sie wollte wissen, ob Döring noch da sei, aber er war eine gute Stunde vorher weggefahren. Das war alles.«
Der Reitlehrer warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schob den Stuhl zurück. »Es tut mir leid, ich muss jetzt wieder raus. Ich muss gleich eine Reitstunde geben.«
»Apropos«, wandte Pia ein und erinnerte sich an Bodensteins Worte, »Döring ist doch auch ein Kunde von Ihnen, oder? Sein Name steht gar nicht auf der Liste, die Ihre Frau mir gegeben hat.«
»Vielleicht hat sie ihn in der Hektik vergessen.«
»Natürlich«, Pia lächelte ihn an, »das war's dann auch schon. Vielen Dank für Ihre Kooperation.«
Kampmann stand auf, nickte ihr zu und verließ fluchtartig den Wintergarten. Pia blickte ihm nach, dann ergriff sie mit spitzen Fingern die Colaflasche, die der Reitlehrer hatte stehenlassen.
»Herzlichen Dank, Herr Kampmann«, murmelte sie zufrieden und steckte die Colaflasche in einen Plastikbeutel.
Eine halbe Stunde später traf Pia am Zauberberg in Ruppertshain ein. Bodenstein und ein Team von der Spurensicherung erwarteten sie schon im Foyer im Mittelteil des imposanten Gebäudes.
»Wenn sie tatsächlich hier gewohnt hat«, sagte Pia zu ihrem Chef, »dann muss ihr Mann das doch gewusst haben. Immerhin arbeitet er nur einen Kilometer Luftlinie entfernt.«
Bevor Bodenstein etwas erwidern konnte, ertönte hinter ihnen ein Räuspern, und sie drehten sich um. Burkhard Escher, der Geschäftsführer der Investorengruppe, war ein beleibter, sonnengebräunter Mann Ende fünfzig mit rabenschwarzem Haar, das eindeutig gefärbt sein musste. Er musterte Pia und die Leute der Spurensicherung kurz, dann begrüßte er Bodenstein jovial wie einen alten Freund.
»Sie waren am Telefon sehr geheimnisvoll«, sagte Escher. »Was ist denn eigentlich passiert?«
»Am Sonntag wurde die Leiche einer jungen Frau am Atzelbergturm gefunden«, erklärte Bodenstein, »und wir haben erfahren, dass die Frau in der Penthousewohnung gewohnt haben soll.«
»Tatsächlich?« Escher schien überrascht. »Ich wusste gar nicht, dass jemand die Wohnung benutzt.«
Auf dem Weg durch die verwirrenden Gänge und Treppenhäuser des riesigen Gebäudes erklärte Escher kurzatmig, dass der »Dom«, wie die Wohnung im Dachgeschoss genannt wurde, seit Jahren leerstand. Jahrelang habe man vergeblich versucht, die Wohnung zu verkaufen, zuerst im Rohbau, später dann im ausgebauten Zustand, aber niemand sei begeistert oder verrückt genug gewesen, sich die zweihundertfünfzig Quadratmeter mit heiztechnisch gesehen ruinösen zehn Meter hohen Räumen ans Bein zu hängen.
»Vor sechs oder sieben Jahren hatten wir zum letzten Mal einen ernsthaften Interessenten«, Escher blieb vor einem Aufzug stehen, »ein Architektenehepaar. Sie haben voller Euphorie sogar Pläne gemacht, um Zwischenwände einzuziehen. Aber dann spielte das Denkmalschutzamt nicht mit. Seitdem steht es leer.«
Er benutzte einen Schlüssel, um den Aufzug zu rufen. »Dieser Aufzug führt in den Keller zur Tiefgarage und hier ins Erdgeschoss und ist ausschließlich den Bewohnerndes Doms vorbehalten«, erklärte er, und sein Blick wanderte immer wieder zu Pias Busen.
»Wie ausgesprochen exklusiv«, murmelte Pia
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