Eine unbeliebte Frau
fühlte, wenn er zum Chef befohlen wurde und den ganzen Weg von der Tür bis zu dem wuchtigen Schreibtisch zurücklegen musste. Der Raum erstreckte sich über die gesamte Breite des Gebäudes und hatte große Fenster, von denen aus man beinahe das ganze Betriebsgelände überblicken konnte. In einer gläsernen Vitrine hinter dem Schreibtisch standen zahlreiche Pokale, die Döring wohl auf Springturnieren errungen hatte, und an der einzigen Wand des Raumes hingen neben einer Straßenkarte von Europa und Werbeplakaten der Spedition Fotos, die Döring auf seinen Springpferden zeigten.
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?«, fragte Döring, nachdem Bodenstein sich und Pia vorgestellt hatte. Er geleitete sie mit einer einladenden Geste zu einer schwarzledernen Sitzecke, wo sie nun Platz nahmen. Friedhelm Döring hatte eine angenehme, sonore Stimme und sprach Hochdeutsch ohne jede hessische Färbung.
»Wir ermitteln in einem Mordfall«, Bodenstein war noch immer leicht irritiert von der Diskrepanz zwischen seiner Vorstellung und der Realität. »Am Sonntagmorgen wurde in Ruppertshain die Leiche von Isabel Kerstner gefunden.«
»Das habe ich schon gehört«, Döring knöpfte sein Sakko auf und schlug die Beine übereinander. »Der Reitlehrer von Gut Waldhof sagte mir am Telefon, dass sie ermordet wurde.«
Er wirkte nicht gerade betroffen. »Davon gehen wir mittlerweile aus.«
»Und was kann ich für Sie tun?« Döring faltete seine sorgfältig manikürten Finger über seinem Knie. Es gab keine Anzeichen von Nervosität oder Unsicherheit, keine unsteten Blicke, kein verräterisches Zucken der Augenlider. Friedhelm Döring sah sie nur aufmerksam an.
»Wir haben erfahren«, fuhr Bodenstein fort, »dass Frau Kerstner am späten Samstagnachmittag auf Gut Waldhof auftauchte, weil sie nach Ihnen suchte. Es würde uns interessieren, was sie von Ihnen gewollt haben könnte.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte Döring. »Ich habe nicht mehr mit ihr gesprochen.«
»Warum hat sie Sie nicht einfach angerufen?«
»Das konnte sie nicht«, Döring lächelte leicht, und obwohl er entspannt dasaß, schien er auf der Hut zu sein. »Ich hatte an dem Nachmittag einen kleinen Unfall. Dabei ist mein Handy kaputtgegangen.«
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann räusperte Bodenstein sich.
»Ach ja«, sagte er. »Eines Ihrer Pferde hat sich ein Bein gebrochen, nicht wahr? Wie ist es dazu gekommen?«
»Das Pferd stürzte an einem Hindernis«, antwortete Döring glatt. »So etwas passiert auch einem erfahrenen Springpferd hin und wieder. Meistens gibt es keine schwereren Verletzungen, aber in diesem Fall dann leider doch.«
»Das ist aber ein herber Verlust für Sie, oder nicht?«, fragte Pia. »Das Pferd war doch sicher sehr wertvoll. Wie haben Sie darauf reagiert?«
Döring blickte Pia ausdruckslos an, dann hob er die Augenbrauen.
»Ich dachte, Sie ermitteln in einem Mordfall. Oder arbeiten Sie für die Versicherung?«
»Viele Wege führen nach Rom«, gab Pia zurück und lächelte, »also?«
»Ich war betroffen«, Döring schlug nun das linke über das rechte Bein. »Carolus war mein bestes Springpferd. Ich werde so schnell kein gleichwertiges Pferd finden.«
»Waren Sie dabei, als es eingeschläfert wurde?«, fragte Bodenstein.
»Nein«, Döring stellte die Beine wieder nebeneinander auf den Boden und richtete sich auf. »Spielt das irgendeine Rolle?«
Bodenstein ging auf seine Frage nicht ein.
»Wie hat Ihre Frau den Verlust des Pferdes verkraftet?«
»Meiner Frau ging das natürlich sehr nahe«, in den grauen Augen des Mannes erschien ein wachsamer Funke. »Ich habe ihr vorgeschlagen, für ein paar Tage zu verreisen, damit sie auf andere Gedanken kommt, und das hat sie getan. Sie ist zu einer Freundin nach Paris geflogen.«
Bodenstein nickte. Dieser Mann war ein harter Brocken. Er log, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Kommen wir noch mal zu Isabel Kerstner. Woher kannten Sie sich?«
»Aus dem Stall«, sagte Döring, »aber das wissen Sie ja bereits.«
»Wie gut waren Sie mit ihr bekannt?«
Dörings Mund verzog sich zu einem Lächeln.
»Ich habe hin und wieder mit ihr geschlafen«, gab er zu.
»Ach. Wusste Ihre Frau davon?«
»Ja. Aber sie hat nichts dagegen. Ich verhalte mich diskret, wenn ich fremdgehe.«
Das Telefon auf dem Schreibtisch summte, aber Döring machte keine Anstalten aufzustehen.
»Kennen Sie den Zauberberg in Ruppertshain?«, wagte Bodenstein einen Schuss ins
Weitere Kostenlose Bücher