Eine unbeliebte Frau
ein Lächeln darstellen sollte.
»Karol!«, rief er. Der Stallknecht mistete erst in aller Seelenruhe die Box fertig, bevor er die Mistgabel an den Frontlader lehnte und gemächlich angeschlendert kam.
»Was gibt's?«, fragte er Kampmann wenig respektvoll. Er war ein Riese von einem Mann, sicherlich eins neunzig groß und muskelbepackt. Name und Akzent ließen auf eine osteuropäische Herkunft schließen.
»Bitte führ das Pferd noch etwas herum und spritz ihm dann die Beine ab«, bat Kampmann den Stallknecht. Pia, die den rauen Umgangston in Pferdeställen kannte, war einigermaßen überrascht darüber, wie höflich der Reitlehrer seinen Untergebenen behandelte.
»Hier herrscht aber ein netter Ton«, bemerkte sie dann auch, als Karol mit dem Pferd am Zügel verschwunden war. Kampmann warf ihr einen unsicheren Blick zu.
»Ich bin froh, dass wir den Mann haben«, entgegnete er. »Gutes Personal ist heute kaum noch zu kriegen. Karol schafft außerdem für zwei.«
Der Wintergarten, in dem sich die Reiter wohl zum Kaffeetrinken und Plaudern aufhielten, war nobel aufgemacht.
Rings um den schweren Eichenholztisch stand ein rundes Dutzend wuchtiger, mit Leder bezogener Stühle. Eine voll eingerichtete Küche erlaubte mehr als nur einen Kaffee zu kochen. Zitronenbäume in großen Kübeln gediehen prächtig. Kampmann holte einen Schlüsselbund heraus und schloss den Getränkeautomaten auf.
»Für Sie auch eine?«, fragte er und nahm sich eine Flasche Cola. Pia verneinte dankend. Sie betrachtete die Fotos, die an den Wänden aufgehängt waren. Eines zeigte eine Gruppe von Menschen, die alle in die Kamera lachten.
»Darf ich mir das Foto mal näher ansehen?«, fragte sie.
»Bitte«, antwortete Kampmann wortkarg und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Der Aktionismus, den er heute an den Tag gelegt hatte, schien ungewöhnlich. Ein deutlicher Bauchansatz und ein Polster um dieHüften zeugten von seiner Bequemlichkeit. Pia nahm den Bilderrahmen von der Wand und studierte die Gesichter. »Donnerstagsgruppe«, stand über dem Foto, »18. Juli 2004«.
»Ist Frau Kerstner auch auf dem Bild?«, erkundigte sie sich.
»Ja«, erwiderte der Reitlehrer und tippte mit dem Finger auf eine blonde Frau, die ihren Arm um die Schulter einer etwas schlichten Brünetten gelegt hatte. Sie war wirklich ungewöhnlich schön gewesen. Die Art, wie sie kokett den Kopf schief gelegt hatte und mit leicht geschürzten Lippen in die Kamera blickte, hatte etwas Mutwilliges.
»Wer ist die Frau neben ihr?« Pia deutete auf das Gesicht der Brünetten.
»Das ist meine Frau.«
»Ihre Frau?« Pia war ehrlich erstaunt. Nie und nimmer hätte sie in der etwas mütterlich wirkenden, ganz und gar durchschnittlich aussehenden Frau die solariengebräunte, wasserstoffblonde, schmuckbehängte Frau Kampmann erkannt. Sie hatte sich frappierend verändert. Pia setzte sich an den Tisch, aber Kampmann blieb auf der Treppenstufe stehen.
»Setzen Sie sich doch«, forderte sie den Reitlehrer auf, was dieser dann auch nach kurzem Zögern tat. »Erzählen Sie mir kurz, was Sie hier so machen, außer Reitstunden geben.«
»Ich bin Verwalter des Hofguts.«
»Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Seitdem die Jagodas die Reitanlage gekauft haben. Seit 1998.«
»Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Kunden?«, fragte Pia. »Es sind wohl vornehmlich Kundinnen, wenn ich mir das Foto richtig betrachte.«
»Das ist eben so. In allen Reitställen gibt es mehr Frauen als Männer«, gab Kampmann zurück. Seine Finger umklammertendie Colaflasche, sein unsteter Blick irrte hin und her. Er war nervös und angespannt, stellte Pia fest, aber das war nicht ungewöhnlich bei einer Befragung durch die Kriminalpolizei.
»Schöner Job«, sagte sie versonnen, »wie bei den Tennis- oder Skilehrern – immer der Hahn im Korb.«
»Das sehen Sie falsch«, sagte Kampmann schroff. »Meine Frau und ich legen viel Wert auf ein freundschaftliches, aber distanziertes Verhältnis zu unseren Einstellern. Die meisten kennen wir schon seit Jahren. Sie kamen mit uns hierher aus dem Stall, in dem ich vorher gearbeitet habe.«
Pia nickte.
»Was ist übrigens mit Ihrem Gesicht passiert? Sind Sie vom Pferd gefallen?«
»Die Stalltür ...«, wich der Reitlehrer aus.
»Das sieht schlimm aus«, Pia mimte Mitgefühl. »Können Sie denn dann schon wieder arbeiten?«
»Ich muss ja wohl.«
»Stimmt«, Pia tat so, als fiele ihr gerade erst wieder ein, weshalb sie überhaupt hier
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