Eine unbeliebte Frau
Kundenbetreuung«, Jagoda lächelte wieder, »unsere Kunden schätzten es sehr, wenn sie von Frau Kerstner betreut wurden.«
Bodenstein begann zu verstehen.
»Wie weit ging diese Betreuung denn?«
»Es gab keine genauen Richtlinien«, Jagoda machte eine unbestimmte Handbewegung. »Unsere Kunden waren aber sehr von ihr angetan.«
»Nun gut«, Bodenstein räusperte sich. »Was für einen Termin hat sie am Samstagabend versäumt?«
»Ich hatte Gäste«, antwortete Jagoda, »einige gute Kunden waren anwesend. Isabel sollte sich um sie kümmern.«
»War Friedhelm Döring auch auf Ihrer Party?«
»Ja, das war er. Er kam gegen acht.«
»Ist er auch ein Kunde der JagoPharm?«
»Wir sind Geschäftspartner«, Jagodas Blick war ruhig und unbeirrt, doch unter dem Tisch wippte seine Fußspitze heftig.
»War Ihnen bekannt, dass Frau Kerstner nicht nur ein Verhältnis mit Ihrem Verwalter, Herrn Kampmann, sondern auch mit Friedhelm Döring hatte?«
»Tatsächlich?« Jagodas Miene blieb undurchdringlich. »Nein, das wusste ich nicht.«
»Ist es übrigens üblich, dass Ihre Angestellten bar entlohnt werden? Frau Kerstner hat im Porschezentrum in Hofheim einen Porsche Boxter mit Bargeld bezahlt«, Bodenstein beobachtete Hans Peter Jagoda scharf, aber der verzog keine Miene.
»Frau Kerstner hat darauf bestanden, ihre Bezüge bar zu erhalten«, antwortete er gelassen. »Ich vermute, sie wollte nicht, dass ihr Mann davon erfuhr.«
Plötzlich zuckte Bodenstein ein Gedanke durch den Kopf, so flüchtig, dass er ihn nicht festhalten konnte, aber in seinem Innern blieb ein Gefühl des Misstrauens zurück. Sie stellten Jagoda noch einige Fragen, bevor er ihnen höflich zu verstehen gab, dass er bedauerlicherweise keine Zeit mehr hatte. Und erst als sie das Haus verlassen hatten, kehrte der Gedanke zurück.
Bodenstein erklärte Pia seine Vermutung.
»Erpressung?«, fragte sie erstaunt.
»Ja«, Bodenstein nickte. »Ich halte es für denkbar, dass Jagoda versucht hat, seine Geschäftspartner mit Hilfe von Isabel Kerstners ›Betreuung‹ zu erpressen. Am Samstagabend sollte sie wieder mit einem Kunden, der Schwierigkeiten machen wollte, ins Bett gehen. Und als sie nicht auftauchte, wurde Jagoda nervös. Für ihn steht eine Menge auf dem Spiel – und wenn er seine Kunden nicht mit legalen Mitteln halten kann, dann vielleicht mit anderen.«
Pia nickte nach kurzem Nachdenken.
»Die Aktionäre, die ihre Strafanträge überraschend zurückgezogen haben. Und die Bank, die plötzlich wieder einen Kredit gewährt hat. Schon möglich, dass er da irgendetwas gedreht hat.«
»Wir müssen noch einmal in die Wohnung von Isabel Kerstner«, Bodenstein hatte es auf einmal eilig. »Ich bin sicher, wir haben irgendetwas übersehen.«
Im Dom des Zauberbergs, den Isabel Kerstner bewohnt hatte, erlebten Bodenstein und Pia eine unliebsame Überraschung. Jemand hatte das amtliche Siegel aufgebrochen und die Wohnung geöffnet. Die ganze Wohnung war nicht nur einfach ausgeräumt, sondern beinahe in einen Rohbau verwandelt worden. Sämtliche Möbel waren verschwunden, ja, sogar die Schrankwände waren herausgerissen. War es Friedhelm Döring gewesen, der keine Zeit verschwendet hatte, etwaige Spuren zu vernichten?
»Der verkauft uns wirklich für dumm«, Bodenstein begann sich allmählich wirklich über Döring zu ärgern. Dieser Mann spielte in der ganzen Sache eine äußerst undurchsichtige Rolle. Auch wenn er auf den ersten Blick keinen Grund gehabt haben mochte, Isabel Kerstner zu töten, dann schien er doch mehr zu wissen, als er ihnen verriet. Bodenstein hatte keine Lust, ein weiteres Mal von Döring angelogen zu werden. Während Pia zu den Bewohnern in den unteren Stockwerken ging, um zu erfahren, wann die Wohnung ausgeräumt worden war, schlenderte Bodenstein mit grimmiger Miene durch die Wohnung, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Seine Schritte hallten von den kahlen Wänden wider. Es hatte für Döring keinen Anlass gegeben, die Wohnung auszuräumen, denn es waren ja ohnehin keine verwertbaren Spuren mehr zu finden gewesen. Darüber hinaus hatte die Spurensicherungalles dokumentiert, was das erste Aufräumkommando zurückgelassen hatte. Wozu dann diese ungesetzliche Aktion? Bodenstein blieb an der Stelle stehen, an der sich das Bett befunden hatte. Staubkörnchen tanzten in dem hellen Streifen Sonnenlicht, der durch das Fenster fiel, und sein Blick blieb auf einer Stelle des glänzenden, in quadratischen Kassetten verlegten
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