Eine unbeliebte Frau
nicht lange. Mein Auto steht allerdings noch am Kommissariat.«
»Ich helfe Ihnen beim Füttern«, schlug Bodenstein vor, »und später fahre ich Sie nach Hofheim zu Ihrem Auto.«
»Wenn Ihnen das nichts ausmacht«, Pia lächelte überrascht.
»Ganz und gar nicht«, Bodenstein grinste. »Ich habe seit Jahren keine Pferde mehr gefüttert.«
Pia dirigierte ihren Chef von der A66 unter der Autobahn hindurch zu dem asphaltierten Feldweg, der zum Birkenhof führte. Bodenstein wartete, bis Pia ausgestiegen war, um das Tor aufzuschließen. Er fuhr die geschotterte Auffahrt entlang, die von hohen Birken bestanden war. Rechts lag ein kleiner Reitplatz, links befand sich eine ordentlich eingezäunte Koppel, an deren Tor zwei Pferde mit gespitzten Ohren warteten. Er parkte vor dem Haus unter einem großen Nussbaum, stieg aus und schaute sich um. Das Grundstück war riesig. In einem von Efeu überwucherten ehemaligen Hundezwinger tummelten sich Meerschweinchen, auf der großen Wiese weiter hinten liefen Enten und Gänse frei herum. Bodenstein schlenderte seiner Kollegin entgegen, die schon mit den beiden Pferden die Auffahrt entlangkam.
»Das ist ja gewaltig groß«, Bodenstein nahm ihr eines der Pferde ab. »Seit wann wohnen Sie hier?«
»Seit zehn Monaten«, Pia öffnete die beiden Boxen, und die Pferde trotteten hinein. »Es war eine glückliche Fügung. Der Vorbesitzer war ziemlich betagt, seine Kinder wohnten im Ausland, und ich hatte genug Geld gespart, um den Hof und das Grundstück kaufen zu können. Alles war allerdingsin einem ziemlich desolaten Zustand. Ich fürchte, ich werde in den nächsten Jahren jeden Cent in die Renovierung und Instandhaltung stecken müssen.«
Die Pferde streckten ihre Köpfe über die geöffneten Halbtüren der Boxen und verfolgten aufmerksam, was Pia in der Futterkammer tat. Wenig später kehrte sie mit zwei Eimern zurück.
»Dieser hier ist für die Fuchsstute«, erklärte sie, »der andere für die Braune.«
Bodenstein ergriff die Eimer und versorgte nacheinander die Pferde gemäß Anweisung. Pia schüttelte jedem ihrer beiden Pferde einen Viertelballen Heu unter die Tränke, dann waren sie versorgt.
»Schöne Pferde«, stellte Bodenstein fest.
»Die braune Stute haben mein Mann und ich gekauft, als sie ein Fohlen war«, Pia lächelte. »Die andere ist sieben, aber leider sportuntauglich, nachdem sie sich am Fesselträger verletzt hat. Da sie eine tolle Abstammung hat, haben wir sie gekauft. Sie sind beide tragend.«
»Dann gibt's nächstes Jahr also doppelten Nachwuchs«, Bodenstein lächelte.
»Wenn alles glatt geht«, Pia betrachtete die Pferde, die sich mit Heißhunger auf den Hafer in der Krippe stürzten, mit Zuneigung.
»Und Ihr Mann?«, fragte Bodenstein. Pia hob den Kopf und sah ihn an. Das Lächeln war verschwunden. »Mein Mann? Was ist mit ihm? »Vermisst er seine Pferde nicht?«
»Nein«, sagte Pia knapp und warf einen Blick auf die Uhr. »Ich bin hier fertig. Wir können losfahren.«
Bodenstein verstand, dass seine Kollegin nicht über ihren Mann sprechen wollte.
»Auf jeden Fall können Sie sich über einen Mangel an Arbeitnicht beklagen«, stellte er fest, als sie zurück zu seinem Auto gingen.
»Ganz sicher nicht«, bestätigte Pia und lächelte wieder. »Aber ich liebe es. Nach sechzehn Jahren in schicken, todlangweiligen und sterilsauberen Stadtwohnungen kann ich endlich Pferdemist schaufeln und mit den Händen in der Erde wühlen. Ich möchte niemals mehr anders leben.«
Bodensteins Haus lag in einer der besseren Kelkheimer Wohngegenden. Auf den ersten Blick wirkte es wie ein unscheinbarer Bungalow, aber der Eindruck täuschte: Sie betraten eine großzügige Eingangshalle mit einer Galerie im ersten Stock. Das Haus war ziemlich groß. Ein paar Stufen führten hinunter in das große Wohnzimmer mit einem herrlichen Panoramablick über den Garten auf ganz Kelkheim und Fischbach. Ein junger Mann mit kurzem, dunklem Haar und einem ziemlich schmutzigen T-Shirt tauchte in der Eingangshalle auf, gefolgt von einem kniehohen Mischlingshund, der Bodenstein so erfreut begrüßte, als sei dieser soeben von einer Weltreise heimgekehrt.
»Hallo, Lorenz«, sagte Bodenstein zu dem jungen Mann, »danke, dass du mich angerufen hast. Darf ich dir Pia Kirchhoff, meine neue Mitarbeiterin, vorstellen? Frau Kirchhoff, das ist Lorenz, mein Ältester.«
Der junge Mann lächelte und reichte Pia die Hand. Er war etwa zweiundzwanzig, hatte ein hübsches, etwas spöttisches
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