Eine unbeliebte Frau
Mädchen außer Hörweite waren.
»Ich werde das Haus verkaufen und von hier wegziehen«, sagte sie mit einer Entschlossenheit, an die sie sich selbst noch gewöhnen musste. »Alles war eine Lüge.«
Sie stand auf, trat ans Fenster, die Arme vor der Brust gekreuzt, und wandte ihnen den Rücken zu.
»Ich komme aus einem streng katholischen Elternhaus«, sagte sie mit gepresster Stimme. »Ich habe mein ganzes Leben lang fest an bestimmte Werte und Moralvorstellungen geglaubt. Mein Mann war im Pfarrgemeinderat, im Schulelternbeirat, im Vorstand des Turnvereins. Er war streng gegen sich, gegen mich und gegen unsere Kinder, aber er war gerecht. Die Rollen waren bei uns klar verteilt, und das war für mich in Ordnung. Ich habe meinem Mann vertraut, an ihn geglaubt. Und jetzt hat er mich einfach allein gelassen.«
Sie drehte sich um. Ihre Stimme bekam einen bitteren Klang.
»Er hat mir keinen Abschiedsbrief hinterlassen. Nichts. Keine Erklärung. Er ging morgens zum Spazierengehen, wieimmer vor dem Frühstück und der Kirche. Und dann hat er sich einfach . erschossen.«
Frau Hardenbach straffte die Schultern.
»Ich kann hier nicht mehr bleiben. Ich kann die Blicke der Leute nicht mehr ertragen. Die Schande.«
»Wir vermuten, dass Ihr Mann erpresst wurde«, sagte Bodenstein.
»Erpresst?« Frau Hardenbach zwang sich zu einem gequälten Lächeln. »Unsinn. Sie kannten ihn doch. Er war immer korrekt und absolut gradlinig. Mit was sollte mein Mann denn zu erpressen gewesen sein?«
»Ihr Mann ist in irgendetwas hineingeraten«, sagte Bodenstein behutsam. »Wir haben ziemlich kompromittierende Filmaufnahmen von ihm und einer jungen Frau gefunden.«
»Wie können Sie so etwas behaupten?« Witwe Hardenbach klang ungläubig. Sie setzte sich wieder hin.
»Wir nehmen an«, übernahm Pia, »dass sich Ihr Mann wegen dieses Filmes dazu erpressen ließ, wichtige Unterlagen in einem Betrugsfall zurückzuhalten und damit die ganze Untersuchung scheitern zu lassen. Vielleicht fürchtete er, dass das herauskommen würde, und konnte mit dieser Angst nicht mehr leben. Wir nehmen an, dass dies der Grund für seinen Selbstmord war.«
Als Pia verstummte, herrschte Totenstille. Frau Hardenbach kämpfte mühsam um den Rest an Selbstbeherrschung.
»Mein Mann hat mich tief gekränkt, weil er sich von eigener Hand das Leben genommen hat«, flüsterte sie, »aber nie und nimmer hat er sich erpressen lassen. Und niemals hätte er mich mit einer anderen Frau betrogen. Das ist eine infame Unterstellung.«
»Wir haben kein Interesse daran, das Ansehen Ihres Mannes zu beschädigen«, sagte Bodenstein. »Uns geht es um die Aufklärung eines Mordes, in den der Mann verwickelt ist,von dem wir annehmen, dass er auch Ihren Mann erpresst hat. Wir suchen die Unterlagen, die Ihr Mann möglicherweise zurückgehalten hat. Er könnte diese Unterlagen hier, in Ihrem Haus aufbewahrt haben.«
Frau Hardenbach war hin- und hergerissen zwischen dem tief in ihr verankerten Bewusstsein, der Polizei und dem Recht helfen zu wollen, und dem Wunsch, das Bild ihres Mannes für sich so zu bewahren, wie sie es sich zu seinen Lebzeiten zurechtgebastelt hatte.
»Könnten Sie nicht einmal im Arbeitszimmer Ihres Mannes nachsehen?«, bat Pia die Frau, die dieses Ansinnen jedoch empört zurückwies.
»Ich würde niemals den Schreibtisch meines Mannes durchwühlen«, antwortete Frau Hardenbach mit dumpfer Stimme. »Niemals. Ich glaube das auch alles nicht. Vielleicht wäre es besser, wenn Sie jetzt gingen.«
Bodenstein nickte und erhob sich.
»Danke, dass Sie mit uns gesprochen haben«, sagte er, griff in die Innentasche seines Jacketts und legte die DVD auf den Wohnzimmertisch. »Hier ist der Beweis, dass wir Ihnen die Wahrheit gesagt haben, auch wenn sie schmerzlich ist. Falls Ihr Mann tatsächlich erpresst wurde, so werden wir das nicht an die große Glocke hängen.«
Frau Hardenbach blickte ihn nicht mehr an.
»Sie finden sicher alleine hinaus«, flüsterte sie. »Gehen Sie. Lassen Sie uns in Ruhe.«
Sie saßen kaum im Auto, als Bodensteins Handy summte. Es war Lorenz, der ihm mitteilte, dass eine Frau Döring bei ihm zu Hause auf ihn warte.
»Was ist mit Frau Döring?«, erkundigte sich Pia neugierig.
»Sie wartet bei mir zu Hause auf mich«, Bodenstein ließden Motor an. »Kommen Sie mit? Ich bin gespannt, was sie will.«
»Ich müsste vorher schnell meine Pferde in den Stall bringen und füttern«, erwiderte Pia nach einem Blick auf die Uhr. »Dauert
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