Eine unbeliebte Frau
Wind.
»Feigling«, dachte Bodenstein, aber seine Miene blieb unbeweglich. Nierhoff strebte auch nach Höherem, dabei hatte er mit seiner parteipolitischen Couleur derzeit überhaupt keine Chance, nach Wiesbaden zu kommen. Spekulierte er vielleicht auf den Posten des Regierungspräsidenten?
»Sie müssen das auf eine andere Weise herausfinden«, Nierhoff schüttelte entschieden den Kopf. »Sie werden keine offizielle Durchsuchung vornehmen. Ende der Diskussion.«
»Sie können ja sagen, dass ich auf eigene Faust einen richterlichen Beschluss erwirkt habe«, schlug Bodenstein vor. Ein kurzer Hoffnungsschimmer erhellte Nierhoffs Gesicht, aber dann zogen gleich wieder Gewitterwolken auf.
»Damit ich mir sagen lasse, ich wüsste nicht, was in meiner Behörde vor sich geht? Vergessen Sie's!«
Bodenstein warf einen Blick auf seine Uhr.
»Wir dürfen nicht mehr lange warten«, sagte er. »Die Spuren werden kalt. Ich möchte mit Hardenbachs Witwe sprechen. Wenn sie etwas weiß, können wir uns den Durchsuchungsbeschluss sparen.«
Nierhoff kämpfte mit sich.
»Das LKA hat die Ermittlungen im Todesfall Hardenbach übernommen«, erinnerte er den Leiter des K11 und hob beide Hände. »Wenn Sie mit Frau Hardenbach sprechen, riskieren Sie Ärger mit denen. Ich weiß auf jeden Fall von nichts.«
Bodenstein wusste, dass er für den Moment nicht mehr erwarten konnte. Er bedankte sich für das Gespräch, erhob sich und verließ das Büro seines Chefs.
Karin Hardenbach, ganz in Schwarz, öffnete mit abweisender Miene selbst die Haustür des verklinkerten Bungalows. Sie konnte sich nicht an Bodenstein und Pia erinnern, der Schock über die Nachricht vom Freitod ihres Mannes am Sonntag hatte eine Gedächtnislücke hinterlassen, und so hielt sie die beiden zuerst für Zeugen Jehovas, die vorzugsweise an Spätnachmittagen Gespräche über die Bibel an Haustüren führen wollten. Erst Bodensteins Ausweis ließ ihr Misstrauen schwinden, und sie bat die beiden herein. Im Hintergrund des Hauses erschienen zwei Mädchen im Teenageralter mitverhuschten, blassen Gesichtern, und Bodenstein wurde bewusst, dass Hardenbach mit seinem Selbstmord die Vorstadtidylle der heilen Familie für immer und unwiederbringlich zerstört hatte. In das Gesicht von Frau Hardenbach hatten sich scharfe Falten gegraben. Die Frau, die ihrem korrekten Gatten ein Eheleben lang treu ergeben gewesen war, wirkte verhärmt und so hilflos wie ein unerfahrener Matrose am Steuer, nachdem der Kapitän im Sturm über Bord gegangen war. Bodenstein verspürte tiefes Bedauern darüber, dass er das ohnehin aus den Fugen geratene Leben dieser Frau noch tiefer erschüttern musste.
»Wie geht es Ihnen?«, erkundigte er sich mitfühlend, nachdem sie sich für die Störung entschuldigt, ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatten und von Frau Hardenbach in das Wohnzimmer geführt worden waren, das die spießige Korrektheit des Mannes widerspiegelte, der es bis vor kurzem bewohnt hatte. Rustikale Eiche, ein altmodischer Fernsehschrank, eine wuchtige Anrichte, Gummibäume.
»Ganz gut«, Frau Hardenbach lächelte tapfer und wahrte die Formen. »Nehmen Sie doch Platz.«
Bodenstein und Pia setzten sich auf das Sofa, das sonst sicher nur an Feiertagen benutzt wurde, Frau Hardenbach entschied sich für einen Sessel. Sie saß unbehaglich und steif auf der vordersten Kante.
»Was kann ich für Sie tun? Ich dachte, das Landeskriminalamt hätte die Ermittlungen im Fall meines Mannes übernommen.«
»Das stimmt«, Bodenstein nickte. »Wir ermitteln in einem Mordfall. Allerdings sieht es so aus, als ob der Selbstmord Ihres Mannes mit unserem Fall zusammenhängen könnte.«
»Ach ja?« Frau Hardenbach zog nur die Augenbrauen hoch.
»Frau Hardenbach«, Bodenstein beugte sich etwas vor, »hatsich Ihr Mann in den letzten Wochen irgendwie verändert? Hatten Sie den Eindruck, dass ihn etwas belastet hat?«
»Das haben mich die Leute vom LKA auch schon gefragt«, Frau Hardenbach hob die Schultern. »Mir ist nichts aufgefallen. Er war wie immer. Bis . bis er sich dann .«
Sie brach ab und machte eine unbestimmte Handbewegung.
»Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen?«, erkundigte Pia sich.
Frau Hardenbach zögerte, dann senkte sie den Kopf. Bodenstein und Pia wechselten einen kurzen Blick.
»Wissen Sie, warum er sich das Leben genommen hat?«, fragte Bodenstein leise. Die Frau hob den Kopf und starrte ihn an. Dann drehte sie sich um, als wolle sie sich vergewissern, dass die
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