Eine unbeliebte Frau
Gesicht und würde in ein paar Jahren seinem Vater ziemlich ähnlich sehen.
»Ich sehe etwas wild aus«, entschuldigte er sich. »Ich habe mir so einen englischen Oldtimer gekauft, und der braucht jede Menge Pflege.«
»Hoffentlich hast du Frau Döring nicht in die Garage geschleift«, sagte Bodenstein.
»Nein«, der junge Mann grinste, »sie ist in der Küche. Wir haben Konversation gemacht.«
»Okay. Danke«, Bodenstein nickte. Pia folgte ihm in eine geräumige Küche, in der sogar ihr das Kochen Spaß gemacht hätte. Am Küchentisch saß Frau Döring vor einem Glas Wasser.
»Es tut mir leid, dass ich Sie zu Hause störe«, sagte sie und wollte aufstehen.
»Kein Problem«, Bodenstein lächelte, »bleiben Sie sitzen.«
Pia und er setzten sich auch an den Tisch.
»Ich bin im Computer meines Mannes auf eine E-Mail gestoßen«, begann Anna Lena Döring, »und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie etwas mit dem Verschwinden von Dr. Kerstners Tochter zu tun hat. Maurice Brault ist ein Geschäftspartner meines Mannes in Belgien, und ich weiß, dass er oft recht zweifelhafte Geschäfte macht. Ihm gehörten die LKW, mit denen das umdeklarierte britische Rindfleisch nach Deutschland geschmuggelt werden sollte.«
»Ach«, schlagartig erwachte Bodensteins Aufmerksamkeit. Er erinnerte sich dunkel, den Namen »Maurice« heute schon einmal irgendwo gehört zu haben.
»Hier«, Anna Lena Döring reichte ihm ein Blatt Papier. Sie saß auf der vordersten Kante des Stuhles, stocksteif und angespannt, die Hände in ihrem Schoß ineinander verklammert. Das Make-up war verschmiert, die Augen gerötet und geschwollen. Sie hatte geweint. Bodenstein wandte den Blick von ihrem Gesicht und starrte auf das Blatt. Es war der Ausdruck einer E-Mail.
»Bonjour, Fred. Habe das Püppchen unbeschadet erhalten. Abreise via Bordeaux wie geplant verlaufen und bereits erfolgt. Ist der Verbleib endgültig? Die Kunden in USA haben nach wie vor allergrößtes Interesse! Gib mir bitte umgehend Bescheid, noch kann man die Route ändern. Maurice«
Bodenstein schob Pia das Blatt hin. Die E-Mail war am 26. August abgeschickt worden, am Freitag vor Isabels Tod. Am folgenden Tag hatte Isabel am Nachmittag ihrem Mann gesagt, dass ihre Tochter an einem Ort sei, an dem er sie niemals finden würde.
»Wie kommen Sie darauf, dass diese E-Mail irgendetwas mit dem Kind zu tun haben könnte?«, erkundigte sich Bodenstein. Anna Lena Döring sah ihn lange an.
»Ich weiß sehr viel über die Geschäfte meines Mannes«, sagte sie schließlich leise. »Seine Spedition liefert weltweit mehr aus, als offiziell bekannt ist. Es ist üblich, Frauen als ›Puppen‹ zu bezeichnen, kleine Mädchen sind dementsprechend ›Püppchen‹. Isabel hat ihre Tochter mit Hilfe meines Mannes irgendwohin ins Ausland bringen lassen, und ich fürchte, dass sie an adoptionswillige Leute in den USA verkauft werden soll.«
Bodenstein und Pia waren einen Augenblick sprachlos.
»Frau Döring«, Pia beugte sich vor, »wenn Ihr Mann in kriminelle Machenschaften verwickelt ist und Sie davon Kenntnis haben, sollten Sie das sagen. Sie machen sich sonst möglicherweise als Mitwisserin strafbar.«
Ein kurzes freudloses Lächeln flog über ihr Gesicht.
»Sie haben meinen Mann doch kennengelernt«, erwiderte sie. »Er wird nicht zögern, mir etwas anzutun, wenn er befürchten muss, dass ich der Polizei etwas über seine Geschäfte erzähle. Ihm ist ein Menschenleben nicht viel wert.«
»Aber ...«
»Ich habe Angst vor ihm«, sagte Anna Lena Döring. »Aberich will nicht, dass Micha seine Tochter verliert. Ich bin nur zu meinem Mann zurückgekehrt, um etwas gegen ihn in der Hand zu haben. Sollte er versuchen, mir etwas anzutun, werde ich das, was ich über ihn weiß, gegen ihn verwenden.«
»Wir werden nichts tun, was Ihr Leben in Gefahr bringen könnte«, versicherte Bodenstein eindringlich.
»Doch«, Anna Lena Döring nickte traurig und senkte den Blick, »wenn es nötig ist, werden Sie das tun. Wenn Sie erst den Mörder von Isabel gefasst haben, gibt es einen neuen Fall für Sie, und dann kann es Ihnen egal sein, was mit mir ist.«
Sie verstummte und biss sich auf die Unterlippe. In ihren Augen schimmerten die Tränen.
»Ich muss gehen«, sagte sie dann und stand auf. »Danke, dass Sie Zeit für mich hatten.«
Bodenstein brachte sie zur Haustür und kam wenig später zurück.
»Maurice«, sagte Pia zu ihm, »diesen Namen erwähnte Jagoda bei einem der mitgeschnittenen
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