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Eine unbeliebte Frau

Titel: Eine unbeliebte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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sagte Bodenstein nur.
    »Ist etwas passiert?«, fragte Thordis neugierig.
    »Ja, ich muss leider weg«, Bodenstein nickte und winkte dem vorbeigehenden Kellner.
    »Ist wirklich etwas passiert, oder haben Sie nur so getan, als hätten Sie einen Anruf bekommen, um mich loszuwerden?«
    Bodenstein war einen Moment sprachlos über diese Unterstellung von Raffinesse.
    »Man hat eine Frauenleiche aus dem Main gezogen«, sagte er nüchtern. »Es handelt sich möglicherweise um Frau Döring.«
    »O Gott, das ist ja furchtbar!« Thordis war entsetzt.
    »Ich weiß nicht, ob sie es wirklich ist, aber ich muss hinfahren.«
    »Kann ich mitkommen?«
    »Müssen Sie nicht mal irgendwann schlafen?«
    »Ich komme mit drei Stunden Schlaf pro Nacht aus«, behauptete die junge Frau.
    »Na, dann von mir aus«, Bodenstein war in Gedanken schon bei der Leiche, die man im Main gefunden hatte. »Aber Sie bleiben im Auto, verstanden?«
    »Klar«, Thordis nickte eifrig, ihre Augen glänzten aufgeregt.

Dienstag, 6. September 2005
    Die blinkenden Lichter der Polizeiautos blitzten auf dem tintenschwarzen Wasser des Mains. Bodenstein parkte auf dem Seitenstreifen hinter einem Streifenwagen. Während der Fahrt hatten sie kaum gesprochen, und Bodenstein verspürte wieder die innere Anspannung wie stets, wenn er auf dem Weg zu einer Leiche war. Er dachte an das Versprechen, das er Kerstner gegeben hatte, an die Verzweiflung des Mannes und den Kummer, den er schon erlebt hatte. Wie entsetzlich wäre es für ihn, wenn er nach seinem Kind nun auch die Frau verlieren musste, die er liebte. Bodenstein hoffte inbrünstig, dass es sich bei der Toten aus dem Main nicht um Anna Lena Döring handelte.
    »Warten Sie hier auf mich«, sagte er zu Thordis, die beklommen nickte. Er stieg aus und grüßte den Polizeibeamten mit einem Nicken, dann duckte er sich unter dem gelben Absperrband hindurch und ging über den Rasenstreifen hinunter zum Ufer. Dort herrschte rege Betriebsamkeit. Ein greller Scheinwerfer erhellte eine Stelle an der Uferböschung, ein Schiff der Wasserschutzpolizei dümpelte nur wenige Meter entfernt im Wasser.
    »Guten Morgen«, sagte Bodenstein zu den anwesenden Männern, Polizeibeamten, Kollegen des Frankfurter K11, einem Team der Spurensicherung und Beamten der Wasserschutzpolizei, sowie zwei Polizeitauchern und Leuten vonder Berufsfeuerwehr, die mit einem Nicken antworteten. Die meisten kannte er von ähnlichen unerfreulichen Gelegenheiten wie dieser hier. Man hatte die Leiche schon in den Leichensack gelegt, und nun erkannte Bodenstein auch den Arzt, der die Leichenschau vorgenommen hatte. Es war der Noch-Ehemann seiner Kollegin, Dr. Henning Kirchhoff.
    »Morgen, Bodenstein«, der Arzt erhob sich. »Schlechte Angewohnheit der Zentrale, immer mich anzurufen, wenn sie was im Fluss finden. Das hab ich davon, dass ich in Sachsenhausen wohne.«
    »Sie haben es wenigstens nicht so weit«, Bodenstein hockte sich hin und blickte in den geöffneten Leichensack. Vom Gesicht der Frau war nicht mehr viel zu erkennen. Bei dem Gedanken daran, was diese Frau in den letzten Minuten und Sekunden ihres Lebens Entsetzliches durchgemacht hatte, schauderte er unwillkürlich. Hatte Friedhelm Döring seine Frau, von der er annehmen musste, dass sie gefährliche Geheimnisse über ihn kannte, auf eine so brutale Art und Weise umgebracht und sie dann irgendwo in den Fluss geworfen?
    »Da ist jemand mit schwerem Werkzeug zugange gewesen«, ließ sich Kirchhoff vernehmen. »Ich tippe auf einen Vorschlaghammer oder etwas in der Richtung und dann noch etwas Ätzendes, wahrscheinlich Salzsäure. Sie hat nicht länger als ein oder zwei Stunden im Wasser gelegen. Gestorben ist sie aber nicht an den Gesichtsverletzungen. Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Ihr Körper ist völlig ausgeblutet.«
    Vom Zeitrahmen her konnte es passen. Anna Lena Döring war das letzte Mal gegen sechs Uhr gesehen worden, etwa um sieben war Kerstner in der Klinik überfallen worden. Jetzt war es ein Uhr morgens.
    »Wie lange ist sie schon tot?« Bodenstein erhob sich wieder und betrachtete die entstellte Frauenleiche.
    »Schwer zu sagen«, erwiderte Kirchhoff, »bei Wasserleichen ist die Rektaltemperatur nicht aussagekräftig.«
    »Alter?« Bodenstein starrte die Tote an. Ihr langes, dunkles Haar ähnelte verschlungenen Algen, und der Anblick war umso grausiger, als die Frau jeglicher menschlichen Gesichtszüge beraubt worden war. Anna Lena Döring hatte langes, dunkles

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