Eine unberührte Welt
Honorars dafür überschritten hätte. Eine Umschreibung des Wortes hätte noch mit 1,02 Cent zu Buche geschlagen. Lediglich die Formulierung »das Wort, das Dr. Raider geschaffen hat« darf nach höchstrichterlichem Urteil provisionsfrei benutzt werden. Belassen wir es also dabei.
Wobei man sagen muss, dass diese Verwertungsgesellschaft gut organisiert ist. Auf eine entsprechende Anfrage hin erhält man umgehend ein gut verständliches Formular zugefaxt, das man ausgefüllt zurückschickt, worauf man binnen einer Stunde seine Lizenz in Händen hält, mit genauen Angaben über Gebühr und Kontoverbindung und mit der Lizenznummer, die dem entsprechenden Text als Fußnote anzufügen ist. Online, per Internet, soll es noch schneller gehen, hört man. Nicht ganz so einfach wie früher freilich, als es genügt hat, die genaue Schreibweise eines Wortes im Wörterbuch nachzuschlagen, aber immerhin. In den meisten Fällen gibt es schlimmere Dinge, die das Verfassen eines Textes behindern – Streit mit den Kindern, klingelnde Telefone, akute Arbeitsunlust –, als der Vorgang der Lizensierung. Und das Wort, ich bestreite es gar nicht, ist sein Geld wert. Marcel Proust hat mitunter Tage verbracht mit der Suche nach dem richtigen Wort, dem »mot juste« – man rechne das einmal in Arbeitszeit um!
Nach dem Urteil in Sachen Dr. Raiders Wort traten freilich, wie nicht anders zu erwarten war, zahllose mehr oder weniger fantasievolle Geschäftemacher, Abzocker und Trittbrettfahrer auf den Plan. Einer wollte die Rechte an den großen Markennamen in ähnlicher Weise handhaben, aber die entsprechenden Firmen erkannten glücklicherweise, dass sie dann ihre Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit auch gleich hätten schließen können, und so wurde nichts daraus. Ein anderer versuchte es mit den Namen großer Schauspieler, was aber auch nicht recht klappte – es gibt lediglich einen Schauspieler, über den man im Staate Kalifornien nichts mehr schreiben darf, ohne Lizenzgebühr für die Verwendung seines Namens zu bezahlen. Aber da von diesem Schauspieler ohnehin kaum noch die Rede ist, dürfte das entsprechende Aufkommen nicht nennenswert sein und die neue Regelung überdies dafür sorgen, dass der Mann endgültig in Vergessenheit gerät. Übrigens gibt es einen Namensvetter, einen Immobilienmakler in Santa Barbara. Eine Zeit lang sah es so aus, als müsse der Lizenzgebühren abführen jedes Mal, wenn er einen Kaufvertrag mit seinem eigenen Namen unterzeichnet, bis ein lebenserfahrener Richter schließlich ein Einsehen hatte.
Weniger lebenserfahren nach meinem Dafürhalten und dem zahlreicher Kommentatoren war dagegen ein Richter im Bundesstaat New York, aber dort gibt es bekanntlich seit jeher die bizarrsten Urteile. Nachdem alle Versuche, die Rechte an Worten wie »und« , »ich« , »aber« oder »Lizenzgebühr« zu erhalten, abgeschmettert worden waren, hatte man dem in Indien gebürtigen Programmierer Rabindranath John Selima wenig Chancen eingeräumt, sich mit dem Argument, sein Vorfahre hätte vor Jahrtausenden die Null erfunden, das geistige Eigentum an dieser Ziffer zu sichern. Aber, oh wundersame Wege der amerikanischen Justiz, seit einem halben Jahr kostet im Staate New York jede gedruckte Null einen tausendstel Cent, und Selima verdient doppelt: Er war nämlich der Erste, der mit Programmen auf den Markt kam, die mit römischen Zahlen arbeiten, also ohne Null auskommen. Seine Firma bietet auch entsprechende Umsteigerkurse für Börsenmakler an, und wie man hört, ist in Wall Street das Interesse groß. An der Börse von Chicago wird noch hämisch gelacht, aber abwarten – Insider schließen nicht aus, dass das Urteil auch auf nationaler Ebene Gültigkeit erlangt. So macht man aus Nichts Geld, nehme ich an.
A propos Computerprogramme – mittlerweile gibt es eine neue Version eines bekannten Textverarbeitungsprogramms, die im Stande ist, einen verfassten Text automatisch nach lizenzrechtlich geschützten Worten zu durchsuchen, per Internet die entsprechenden Lizenzen zu beantragen, die Lizenznummern in den Text einzufügen und, bei entsprechender Konfiguration, die anfallenden Lizenzgebühren selbsttätig zu überweisen. Die anderen Hersteller wollen folgen, aber der erste Hersteller hat schon ein Patent auf diese Idee und wird wohl Lizenzgebühren von ihnen dafür verlangen.
Was an den Gerüchten dran ist, die Katholische Kirche wolle in Zukunft Bibelzitate kostenpflichtig machen, weiß ich nicht. Da werden die
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