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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Frau.«
    Die Worte schienen von seinen Lippen zu wehen, hinaus in die Dunkelheit jenseits des Kreises, und dort aufgesogen zu werden, ehe sie die Bäume erreicht hatten. Dann herrschte wieder Stille, aber es war eine Stille voller Erwartung, eine lockende, verführerische Stille, als hätte uns eine übermenschliche Kraft gehört und wolle mehr hören.
    »Und«, kam es aus Norberts Mund, »ich will reich sein. Ich will …«
    Voller Schrecken fuhr ich hoch und nach vorn und stieß ihn gegen die Schulter. »Norbert, hör auf.«
    Er zuckte zusammen und ließ die Schale mit dem Blut fallen, und in dem Augenblick, in dem das Blut den Boden netzte, verschwand der ganze Spuk. Plötzlich war die Nacht wieder voller Tierlaute, knackender Äste und tröpfelnder Blätter, als hätte jemand eine unsichtbare Glocke von uns gehoben.
    »Scheiße«, sagte er und wischte sich ein paar Tropfen Blut von der Hose. Er warf mir einen wütenden Blick zu. »Du hast mich rausgebracht. Ich war …«
    »Es ging um Irmina«, erwiderte ich. »Das war es, was du wolltest, oder?«
    »Ja.« Er nickte, schaute sich um. Die Fackeln, die Rußstriche auf dem dürren Gras – mit einem Mal sah das alles reichlich albern aus. »Meinst du, es hat gereicht?«
    »Mir reicht es jedenfalls.« Ich stand auf und klopfte die nassen Stellen meiner Hose ab. »Komm, lass uns heimfahren und Wahrscheinlichkeitsrechnung büffeln.«
     
    Ich weiß nicht, was Norbert für Vorstellungen hatte, wie der Zauber wirken sollte. Er ließ sich nichts anmerken, wollte nicht einmal mehr davon sprechen, was wir da gemacht hatten in dem Wald, aber ich hatte den Eindruck, dass er, wenn wir abends in der Wohnheimküche hockten, darauf wartete, dass Irmina einfach zur Tür hereinkam.
    Irgendwann, eine Woche später vielleicht, kam ich ins Haus und hörte ihn in der Küche telefonieren. Ich leerte meinen Briefkasten und schlich die Treppe hoch, um mich zu vergewissern.
    »Er ist nicht der Richtige für dich. Ich bin der Richtige für dich«, hörte ich ihn sagen, in einem Tonfall, als müsse er seinem besten Freund eine Dummheit ausreden. Aber es konnte nur Irmina sein, mit der er sprach. »Ich bin der Mann, den du heiraten solltest, nicht er. Das weiß ich einfach, wie ich nichts anderes im Leben weiß, und ich wollte es dir wenigstens einmal gesagt haben, ein einziges Mal und nie wieder. Ich wünsche dir trotzdem alles Gute und …« Mir kam zu Bewusstsein, dass ich lauschte, und ich machte, dass ich davonkam.
    An diesem Abend kam er mir völlig gelöst vor. Wir konnten über Automatentheorie, Bundesliga und Politik reden, als gäbe es keine Irmina auf dieser Welt.
    Dann geschahen die Wunder.
    Irminas Tutor hatte trotz aller Heiratspläne, wie sich herausstellte, die Frauenwelt nicht gänzlich vernachlässigt. Es stellte sich heraus, weil er, angeblich auf einem Kongress weilend, sich mit einer anderen Frau traf. Wie der Zufall es wollte, hielt sich nämlich in dem Hotel, in dem das Treffen stattfand, auch ein Kanzleramtsminister oder dergleichen auf, der den Medien just in dem Moment Rede und Antwort stand zum Fall des jüngst aufgeflogenen Atomschmuggels, als die beiden hinter ihm aus dem Aufzug traten. So konnte Deutschland zur besten Sendezeit die beiden engumschlungen im Hintergrund vorbeigehen sehen, in den Spätnachrichten noch einmal und auf anderen Kanälen in anderen Perspektiven. Es muss sehr heftige Szenen gegeben haben im Hause Langenstein, nicht zuletzt, weil die Eltern einen Ruf zu verlieren hatten, kurzum, die Verlobung wurde gekündigt, Türen flogen, Dinge gingen zu Bruch, und am Ende raste der Tutor in seinem Alfa Romeo, der Jahreszeit entsprechend mit geschlossenem Verdeck, davon. Die Kombination von bebenden Nerven und frühem Glatteis ließ seine Fahrt unter einem Sattelschlepper enden, in einem Albtraum aus zerfetztem Blech, den auseinanderzusägen die Feuerwehr mehrere Stunden beschäftigte. Obwohl man Irmina davon abhalten wollte, bestand sie darauf, die verschiedenen Überreste des Tutors zu sehen. Noch in der Leichenhalle bekam sie eine Fehlgeburt. Und einen Tag vor Weihnachten trat sie durch die Tür der Wohnheimküche, um Norbert das alles zu erzählen.
    Die beiden heirateten kurz nach Ostern. Ich war Trauzeuge. Als Norbert mich nach der Feier verabschiedete, gab er mir ein schmales kleines Päckchen mit, in schneeweißes Geschenkpapier eingehüllt. »Du bist der Büchersammler von uns beiden«, meinte er.
     
    Die Jahre vergingen. Aus Ruanda hörte man

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