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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Brücks Körper bei diesen Worten. »Was?«, entfuhr ihm.
    »Eines Abends«, erklärte der seltsame Gast, und er schien zu leiden, während er sprach, »eines Abends werden Sie die Tagesschau einschalten, und es wird nur eine einzige Schlagzeile geben: die Entdeckung einer nichtmenschlichen, außerirdischen, intelligenten Lebensform. Diese Entdeckung wird nicht einfach eine Sensation sein, sondern der größte Schock, den die Menschheit je erlebt hat; ein Erdbeben in der Seele der Menschen, das Mächte zerfallen und Religionen verschwinden lassen wird. Wirkliche Fremde, verstehen Sie? Das wird die Welt verändern wie nichts zuvor. Es wird eine andere Menschheit sein, die das nächste Jahrtausend sieht.«
    Brück hielt es plötzlich nicht mehr aus in seinem Sessel, stellte sein Glas ab und stand auf, um ans Fenster zu treten. Die Sterne funkelten milde und fern am dunklen Himmel, zwischen den wattigen, regenschweren Wolken, die im Mondlicht schwarzviolett glänzten. Er spürte ein Gefühl in seiner Brust, als breche eine Stahlklammer, die sein Herz bis jetzt umkrallt hatte.
    »Es gibt also Leben da draußen«, sagte er halblaut.
    »Das Universum wimmelt von Leben«, bekräftigte die Stimme in seinem Rücken.
    »Es geht also weiter?«
    »Wir hatten Besuch aus einer Zeit, die über fünfzehntausend Jahre in der Zukunft liegt. Und sie erzählten uns von einem Kontakt mit … nun, menschlichen Wesen aus einer Jahrmillionen entfernten Zeit. Die Zukunft der Menschheit scheint unauslotbar zu sein, immer weiter und weiter zu gehen …«
    Brück sah die ersten, verfrühten Feuerwerksraketen aufsteigen. Er schob den muffigen Vorhang weiter zur Seite, als gelte es, dem neuen Jahr Einlass zu verschaffen.
    »Und wissen Sie was?«, fuhr der Gast aus einer anderen Epoche fort – es klang, als wundere es ihn selbst –, »zu allen Zeiten suchen die Menschen das Paradies, aber was immer sie auch anstellen, das Leben wird immer dieses seltsame Chaos bleiben, das man nie ganz zu fassen kriegt. Immer wird es Freude geben und Leid, immer Geburt und Tod; zu allen Zeiten wird man Niederlagen und Heimtücke und Hass kennen – aber auch Siege, Ehrlichkeit und Liebe …«
    Mitternacht. Die Kirchenglocken begannen zu läuten, grüne und rote Leuchtkugeln glitten majestätisch durch die Luft, und in den Straßen wirbelten die grellen Sonnenräder auf dem feucht glitzernden Asphalt. Zum ersten Mal nach langer Zeit faszinierte es ihn wieder wie ein Kind. Brück hatte plötzlich das Gefühl, dass es ein gutes Jahr werden würde.
    Zeit, darauf anzustoßen. Er drehte sich um, doch das Sofa war plötzlich leer. Der merkwürdige Gast war verschwunden, und die Sektflasche mit ihm. Nur die beiden Gläser standen noch auf dem Tisch, und als Brück sie verwundert in die Hand nahm, sah er, dass sie völlig leer und sauber waren, wie frisch gespült.
    © 1995 Andreas Eschbach

Jenseits der Berge
    Kommen wir, da wir es gerade von den Anfängen einer schriftstellerischen Laufbahn hatten, zu einer ziemlich frühen Geschichte. Geschrieben habe ich sie irgendwann in den 80ern, um sie während meiner ersten Gehversuche als Autor auf ein paar extrem schlecht besuchten Lesungen im Stuttgarter Umland vorzutragen, und ein Dutzend (vielleicht auch nur ein halbes Dutzend) (oder noch weniger) Leute mögen bei einer dieser Gelegenheiten einen Reader erworben haben, den ich dafür zusammenstellte und der diese Geschichte enthielt und das erste Kapitel der »Haarteppichknüpfer«. Ein Lesungsbesucher kritisierte sie einmal als »nicht literarisch«; er würde auf einer Lesung junger Autoren doch etwas anderes erwarten.
    Ich nahm das als Kompliment.
    Später habe ich sie der Website www.sf-fan.de zur Verfügung gestellt, wo sie all die Jahre als hübsch formatierte PDF-Datei abrufbar war.
    Und hier ist sie nun endlich dort, wo eine Geschichte hingehört: zwischen zwei Buchdeckeln.
    Mir gefällt sie noch immer.
     
    Sie hatten Livet erwischt. Sie waren aus dem Nachthimmel heruntergekommen wie ein einstürzendes Dach, schwarzes Geflatter dunkler als die Nacht, wirbelnde Krallen, messerscharf, gierig zischende Mäuler hatten Livet mit sich fortgetragen und Bran zurückgelassen, einfach so. Und ihr ohrenbetäubendes Kreischen hatte geklungen wie höhnisches Gelächter.
    Bran blieb liegen, bis er glauben konnte, dass es vorbei war. Als die Schreie sich verloren, hob er den Kopf aus dem kalten Schlamm, aber er konnte sich nur auf den Rücken drehen, so sehr zitterte er noch.

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