Eine undankbare Frau
Er sah seine Mutter sich in Krämpfen winden, er sah die Zähne, die in ihrem Mund klapperten. In der einen Sekunde brach sie am Tisch zusammen, in der nächsten sprang sie auf und taumelte durch das Zimmer, während sie wie eine Sterbende schrie, mit blutunterlaufenen Augen und Schaum vorm Maul. Sie röchelte und schrie, sie sabberte und stürzte zu Boden, aber dann rappelte sie sich wieder auf und taumelte weiter durch die Wohnung. Sie lief zum Telefon, um Hilfe zu holen, aber sie konnte die Ziffern nicht erkennen. Sie versuchte, ein Fenster zu öffnen, um Passanten um Hilfe zu bitten, aber ihre Finger wollten ihr nicht gehorchen, sie konnte die Haken nicht lösen, außerdem hatte sie ihre Stimme verloren. Denn sie war vergiftet. Arme und Beine waren vergiftet, Herz und Hirn waren vergiftet, und das Gift wanderte mit dem Blut durch den ganzen Körper, fand seinen Weg in den letzten Winkel, mit seiner tödlichen Wirkung. Am Ende brach sie zusammen. Vielleicht riss sie dabei etwas mit sich, es machte einen Höllenlärm. Denn sie sollte nicht friedlich sterben dürfen, sie sollte unter Schreien und Schmerzen diese Welt verlassen.
Das waren Johnny Beskows Phantasien. Er fuhr zum Staudamm. Lehnte die Suzuki an eine Tanne, legte die Handschuhe in den Helm. Er ging zehn Schritte auf die Staumauer hinaus. Dort setzte er sich. Das Wasser dröhnte und schäumte durch das Rohr und von dort hinunter ins Tal. Er blieb lange dort draußen sitzen. Er wartete darauf, dass das Gift wirkte. Rastlos fuhr er über die Waldwege, hin und her auf der Suzuki, und schaute immer wieder auf die Uhr. Nach vier Stunden ging er davon aus, dass alles vorüber wäre. Er fuhr nach Hause und parkte ihm Hof. Dort blieb er ziemlich lange stehen und horchte.
Das Haus war noch nie so still gewesen.
Er stellte sich vor, wie sie im Badezimmer auf dem Boden lag, das Gesicht auf die alten gelben Fliesen gepresst. Oder wie sie auf dem Sofa zusammengebrochen war. Vielleicht hatte sie sich aber auch ins Schlafzimmer geschleppt und ins Bett gelegt. Er stand ganz still im Flur, kein Atemhauch war zu hören. Vom Flur ging er ins Badezimmer, vom Badezimmer ins Wohnzimmer. Sie wühlte in einer Kommodenschublade herum und zuckte zusammen.
»Was ist denn mit dir los?«, schrie sie. »Wieso schleichst du hier herum, du siehst aus wie ein Dieb in deinem eigenen Haus? Herrgott, hast du mich erschreckt. Warum glotzt du so dämlich?«, fügte sie hinzu. »Hast du ein Gespenst gesehen oder was?«
Sie fuchtelte wütend mit den Händen und war quicklebendig. Ihr Herz schlug und sie konnte sprechen. Sie konnte noch denken, konnte wie er Wörter zu gehässigen Sätzen und Gedanken zusammenfügen. Sie konnte sich noch mit Wodka vollschütten. Johnny war stumm vor Verwirrung. Sie sah überhaupt nicht krank aus. Auf ihren Wangen lag sogar ein Hauch von Röte.
Er ging in die Küche, war vollkommen aufgelöst. Der Topf stand auf dem Herd, war aber leer. Sie hatte das Essen in einen großen blauen Plastikbehälter geschüttet und mit einem Deckel verschlossen. Sie kam nach und sah, dass er den Topf anstarrte.
»Nimm so viel du willst«, sagte sie. »Ich friere den Rest ein. Für später irgendwann.«
Er floh in sein Zimmer. Schwermütig, traurig und enttäuscht war er, weil ihm der große Coup nicht gelungen war, und er sie nicht ein für allemal losgeworden war, so wie er sich das vorgestellt hatte. Den ganzen Abend saß er auf dem Bett und grübelte, während Butch über die Decke trippelte. Offenbar hatte sie nicht genug von dem vergifteten Essen zu sich genommen. Oder sie hatte gar nichts davon gegessen.
Es wurde Nacht und er ging schlafen.
Er hörte seine Mutter in ihrem Zimmer herum poltern. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Na logisch! Natürlich konnte sie etwas gegessen haben, vielleicht hatte sie sogar sehr viel gegessen. Aber Rattengift wirkte sehr langsam. Das hatte ja auch auf der Packung gestanden, dass Ratten mehrere Dosen benötigten, bevor sie endgültig ihr Leben aushauchten. Also würde die Hyäne mehr Zeit brauchen, um zu sterben. Ihn erregte die Vorstellung, dass sie tagelang Schmerzen haben würde. Eine Vergiftung war wie ein Krieg, die kleinen Körner griffen einem Schlachtplan folgend an. Zuerst nahmen sie sich Leber und Nieren vor, dann Lunge und Herz. Er wickelte sich in seine Decke.
Eine warme Höhle aus Daunen und Stoff.
Er versuchte, Pläne für den nächsten Tag zu machen. Ich werde wohl etwas unternehmen müssen, sagte er sich, während ich
Weitere Kostenlose Bücher