Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
»Magst du deine Arbeit noch?«
Hubert war der einzige, der ehrliches Interesse an meiner Arbeit zeigte. »Meistens ja«, antwortete ich. »Es verschafft mir große Befriedigung, das Magazin jeden Monat von vorn bis hinten zusammenzustellen. Ich versuche, eine ausgewogene Mischung aus Information und Unterhaltung hinzubekommen. Mein Boss will vor allem Werbung, aber ich bemühe mich, dass sie den sonstigen Inhalt nicht erschlägt.« Ich piekste ein Stück Hühnchen auf meine Gabel – im Gegensatz zu Hubert hatte ich es nie geschafft, mit Stäbchen zu essen. Ich war zu bescheiden, ihm vom besten Teil meiner Arbeit zu erzählen – den regelmäßigen Lobesmails unserer Leser. Die allgemein vorherrschende Meinung schien zu sein, dass das Magazin sich verbessert hatte, seit ich dort arbeitete. Ein Artikel von mir über mit Giften belastetes Spielzeug hatte sogar einen Preis gewonnen. »Ich kann mir nicht vorstellen, was ich lieber täte.«
»Dann ist das Leben also schön.«
»Ich denke, ja.« Ich hatte zwar keinen Ehemann oder wenigstens einen festen Freund, aber ich hatte ein Haus, Arbeit und Freunde und war gesund. Ich konnte mich nicht beklagen. Höchstens ein bisschen.
Als ich meinen Teller schließlich beiseite schob, hatte ich mehr gegessen, als ich je für möglich gehalten hätte. »Ich bringe keinen Bissen mehr runter.«
»Oh, aber das musst du«, erwiderte Hubert. Er griff in die Tüte und ich hörte Zellophanpapier knistern. »Glückskekse!« Er präsentierte sie auf der ausgestreckten Hand. »Du zuerst.«
Ich wählte einen aus und wartete, bis er seinen öffnete. Er zog die Stirn in Falten. »Hier steht: ›Raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen!‹ Was soll das denn für ein Rat sein?« Er sah mich an und ich zuckte mit den Schultern. »Jetzt bist du dran.«
Ich riss das Papier auf, brach den Keks auseinander und strich den schmalen Papierstreifen auf dem Tisch glatt. »›Du findest Schätze dort, wo du es am wenigsten erwartest.‹« Jetzt war ich an der Reihe, verständnislos zu gucken. »Das sagt ja nicht viel. Ich erwarte überhaupt keine Schätze. Nie.«
»Außer in deinem Nachtschränkchen«, meinte Hubert. Er lehnte sich zurück und balancierte für einen Moment auf den hinteren Stuhlbeinen. Dann ließ er den Stuhl krachend wieder nach vorn kippen. »Hey, das sollten wir heute Abend tun! Wir sollten anfangen, die Sachen deiner Tante zu durchsuchen. Wäre das nicht lustig?«
Ich sah ihn entnervt an. »Aufräumen ist nie lustig, Hubert.«
»Sieh es doch nicht als Aufräumen, sondern als Erforschen. Hat irgendjemand das Haus schon mal durchgesehen, bevor du eingezogen bist?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ihr Anwalt hat mir den Schlüssel gegeben und als ich herkam, sah alles genauso aus wie vor ihrem Tod. Sie hatte am Sonntag Kaffee mit Brother Jasper getrunken, als sie plötzlich Schmerzen in der Brust verspürte. Er rief sofort einen Krankenwagen, aber auf der Fahrt zum Krankenhaus blieb ihr Herz stehen. Sie haben noch versucht, sie zu reanimieren, es aber nicht geschafft. Sie war alt – schon Ende achtzig ... siebenundachtzig, glaube ich.«
»Wow«, meinte Hubert. »Das hast du noch nie erzählt.«
Ich widerstand dem Drang, ihm zu sagen, dass er sich im letzten Jahr auch nicht oft gemeldet hatte. »Die Kaffeetassen und der Zucker standen noch auf dem Tisch, als ich das erste Mal herkam.«
»Das ist ja fast ein bisschen gruselig.« Er sah sich in der Küche um. »Hast du je herausgefunden, warum sie das Haus ausgerechnet dir vermacht hat? Statt deinen Eltern oder anderen Verwandten?«
Schon wieder diese Frage. »Nein. Ich habe sie ja kaum gekannt. Ich bin ihr nur bei Familienfeiern begegnet, vielleicht ein Mal pro Jahr, und wir haben kaum miteinander geredet.« Bei der Erinnerung daran bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich hatte nie gewusst, was ich mit Tante May reden sollte. Sie war nett gewesen, aber ihr Alter hatte mich irgendwie eingeschüchtert. Im Nachhinein wünschte ich, ich hätte mehr Anteil an ihrem Leben genommen. »Aber die Nachbarn sagen, Tante May habe die ganze Zeit von mir gesprochen. Sie erzählte ihnen von meinem College-Abschluss und als ich den Job bei der Zeitung bekam. Es ist schon komisch, wenn ich darüber nachdenke.«
»Vielleicht fand sie dich einfach toll.«
»Ja, natürlich. Weil ich klug und hübsch und liebenswert bin und Sinn für Humor habe.«
Hubert grinste. »Vergiss nicht den Teil mit der guten Freundin.«
»Ja, ich bin so toll, dass man
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