Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
hatte.
Bis zum späten Nachmittag war ich schon recht gut vorangekommen, während Mrs. Kinkaid sich voller Hingabe dem Bleistiftspitzen widmete, und zwar mit einer dieser kleinen Plastikdosen, wie man sie in der Grundschule verwendete. Wir hatten einen elektrischen Anspitzer, aber dafür musste man einmal quer durch den Raum gehen. Außerdem fand Mrs. Kinkaid das Geräusch, das er machte, fürchterlich.
Als um vier das Telefon klingelte, sah sie auf. »Könnten Sie wohl rangehen?«, bat sie und drehte gleichmäßig ihren Stift weiter. Selbst aus zweieinhalb Meter Entfernung konnte ich die frischen Holzspäne riechen.
»Natürlich.« Gott mochte verhüten, dass ich ihr Beistiftprojekt unterbrach! » Parenting Today , Lola Watson am Apparat.«
»Hey Lola, hier ist Piper.«
Ich rutschte mit dem Stuhl ein Stück zur Seite, so dass mein Gesicht vom Monitor verdeckt war und nicht von Mrs. Kinkaid beobachtet werden konnte. »Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Hier ist Piper.«
»Wenn Sie warten, kann ich das eben nachschlagen.«
Sie lachte. »Was soll das? Wirst du von Mrs. Kinkaid belauscht?«
»Ja, genau.« Ich klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und legte meine Finger auf die Tastatur. »Würden Sie das bitte wiederholen?« Ich tippte auf ein paar Tasten.
»Ach Lola, komm schon. Sag ihr einfach, dass du mit einer Freundin sprichst. Wen kümmert das schon? Du erzählst doch ständig, dass sie auch die ganze Zeit privat telefoniert. Und du bist ihr Boss – nicht umgekehrt!«
Ich wusste, dass Piper recht hatte, aber irgendwie wollte ich meine Professionalität bewahren. Nur weil Mrs. Kinkaid die Arbeitsmoral einer Paris Hilton hatte, bedeutete das nicht, dass ich auch so arbeiten musste. »Könnten Sie das buchstabieren?«
Piper seufzte. »Also gut, dann spiele ich eben mit. Ich sage dir schnell, warum ich anrufe, und du kannst mich ja später zurückrufen, falls du irgendwelche Fragen hast.«
»Ja?« Ich hielt meine Hände erwartungsvoll über die Tasten, als wollte ich alles aufschreiben, was der Anrufer mir durchgab. Das langweilte Mrs. Kinkaid normalerweise so
sehr, dass sie hoffentlich gleich aufstehen und am Radio herumdrehen oder unsere Pflanze gießen würde. Sobald sie zu summen begänne, könnte ich offen sprechen.
»Erinnerst du dich noch an meinen Plan?«, fragte Piper. »Bei dem du dich an Mindy rächen kannst?«
»M-hm.« Schweigend tippte ich: »Plan, um mich an Mindy zu rächen.«
»Tja, Brandon und ich mussten heute zu Mike ins Büro, um etwas abzuliefern. Oh, warte mal eben.« Sie legte das Telefon ab. »Nein, nein, Schätzchen. Nicht in den Mund.« Ich hörte Gerangel, dann Geschrei.
Gegenüber winkte Mrs. Kinkaid, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen, und hielt ein paar Münzen hoch. Sie deutete zur Tür als Zeichen, dass sie zum Automaten gehen wollte, und formte lautlos mit den Lippen: »Für Sie auch etwas?«
Ich schüttelte den Kopf.
Piper kehrte ans Telefon zurück. »Hier, nimm einen Cracker.« Ich vermutete mal, dass sie Brandon meinte. »Okay, bin wieder da.«
»Ich kann jetzt reden«, sagte ich. »Mrs. Kinkaid zieht sich einen Schokoriegel.«
»Gut, und Brandon ist auch eine Weile beschäftigt. Junge, Junge, ist der anstrengend in letzter Zeit!« Sie atmete laut aus. »Wo waren wir? Ach ja. Ich warte also vor Mikes Büro, dass er mit einem Kunden fertig ist, und da kommt dieser absolut umwerfende Typ ins Vorzimmer. Groß, dunkles, gelocktes Haar und braune Augen zum Dahinschmelzen. Und ich meine wirklich schön, nicht so ›hübscher Junge‹-mäßig, du weißt schon. Und er war elegant, aber gleichzeitig lässig gekleidet. Das bekommt nicht jeder hin. Ich warte also und dieser Typ
setzt sich, weil er einen Termin mit Mikes Partner hat und etwas zu früh dran ist, und wir kommen ins Gespräch. Und es war ganz leicht, mit ihm zu reden – er war charmant und aufgeschlossen und alles.«
Ich bekam plötzlich ein komisches Gefühl. Hoffentlich führte dieses Gespräch nicht in die Richtung, die ich befürchtete.
»Nach kurzer Zeit schon reden Ryan und ich – so heißt der Typ, Ryan – wie alte Freunde. Er fand Brandon richtig süß, also wusste ich, dass er was drauf hat.« Sie lachte. »Und jetzt hör zu: Ich habe ihm von Mindy und der Hochzeit und der Torte erzählt und allem, und er war sofort einverstanden, deinen Verlobten zu spielen.«
»Ach Piper«, stöhnte ich. »Bitte sag, dass das ein Scherz ist.«
»Nein, kein Scherz.« Sie klang dabei
Weitere Kostenlose Bücher