Eine unerwartete Erbschaft (German Edition)
Grund dafür, dass umwerfende Models und Schauspieler jede Menge Kohle scheffeln, während wir Normalos jeden Tag mit Gesichtscremes, Miederhosen und Zahnweiß hantieren müssen in der Hoffnung, dass es uns besser und schöner macht. Wie aufs Stichwort lächelte Ryan sein strahlendes Lächeln. Ich hätte schwören können, dass seine Zähne regelrecht aufblitzten. »Ich habe Tanya in meinem Fitnessclub
kennengelernt und wir sind ein paar Mal miteinander ausgegangen. Ich merkte aber gleich, dass es nicht funktioniert, und sie schien es ganz gelassen hinzunehmen. Ich dachte, alles wäre in Butter.« Er trank einen Schluck. »Es tut mir leid, dass du das miterleben musstest. Und noch mehr tut es mir leid, dass du hier so allein sitzen und warten musstest.«
Ich schob ein paar Grissinikrümel vom Tisch in meine Hand, überlegte einen Moment, was ich damit machen sollte, und ließ sie dann unbemerkt auf den Boden fallen. »Kein Problem.«
»Tanya ist ein netter Mensch«, sagte er, »aber sehr anlehnungsbedürftig. Sie hat nie begriffen, wie anstrengend mein Beruf ist. Wenn man drei von vier Wochen unterwegs ist, bleibt nicht viel Zeit für eine Beziehung.«
»Ah«, meinte ich verständnisvoll. Drei Wochen von vier unterwegs? Kein Wunder, dass die Nachbarn ihn nie sahen. »Wo führen dich deine Geschäftsreisen denn so hin?«
»Ach, überall und nirgends.« Er blickte einen Moment zur Decke, als würde er nachdenken. »Ganz unterschiedlich – Bangkok, Sri Lanka, Bangalore. Neulich war ich in Osteuropa und Südamerika. Die Firmen, für die ich arbeite, sind international, also gehe ich überall dorthin, wo sie mich brauchen. Und meistens muss ich heikle Firmenprobleme lösen, also ist meine Arbeit vertraulich.« Zwischen den Zeilen ging er damit auf Tanyas Anschuldigung ein. »Die meisten Firmen geben nicht gern zu, dass sie meine Art von Hilfe benötigen.«
Ich war nicht ganz sicher, was er damit meinte, aber es war ein Genuss, ihn zu betrachten und ihm zuzuhören. Er hatte die angenehme Stimme eines Nachrichtensprechers im Fernsehen oder Radio und ich mochte wetten, dass er auch gut
singen konnte. Sicher ein schöner Bariton. Ich beobachtete seinen Mund und stellte mir vor, wie er »Happy Birthday« sang – bei einer kleinen privaten Feier ...
Bevor ich anfangen konnte zu sabbern, servierte Antonio zum Glück das Essen. Wir hatten beide dasselbe bestellt: in Butter geschwenkte Capelli d’angelo, also ganz feine Spaghetti mit Garnelen und Gemüse. Es schmeckte köstlich. Ich hatte nur einen Apfel und einen Joghurt zu Mittag gegessen und dieses Essen füllte eine Leere, die ich vorher gar nicht registriert hatte.
Ryan war ein aufmerksamer Zuhörer. Er stellte Fragen über meine Kindheit, meine Eltern, meine Schwester. Da wir inzwischen die zweite Flasche Wein tranken, war ich redseliger als üblich. Vor allem Mindy schien ihn zu faszinieren – vielleicht deshalb, weil er Parallelen zu seinem älteren Bruder sah.
»Sie hat sich beim Gynäkologen tatsächlich für dich ausgegeben?«, fragte er fasziniert nach. »Wie ist sie denn damit durchgekommen?«
Ich merkte, dass ich rot wurde. Diese Geschichte hatte ich bislang keinem außer Piper erzählt. Nicht einmal Hubert.
»Ich meine«, fügte Ryan schnell hinzu, »sie muss sehr gut schauspielern können. Die meisten Menschen können nicht überzeugend lügen.«
»Mindy hält es in dem Moment nicht für Lügen. Sobald sie etwas sagt, wird es für sie Wahrheit. Sie würde vermutlich sogar einen Lügendetektortest bestehen.« Ich steckte ein Stückchen Garnele in den Mund.
»Hmm.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Tisch und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ist sie schon immer so gewesen?«
»Immer. Wenn sie etwas will, dann holt sie es sich. Und sie gibt niemals auf, egal, was es kostet.« Ich schüttelte den Kopf. Warum war das Leben für sie nur ein ständiger Wettbewerb? Ich hatte mir immer eine Schwester gewünscht, die meine Freundin war. Ich war mit den Wiederholungen der Serie Unsere kleine Farm aufgewachsen und hatte mir Mindy immer als Laura Ingalls und mich selbst als Mary vorgestellt, die ältere Schwester. Bevor Mary blind wurde, natürlich. Wir zwei würden alle möglichen Probleme und Schwierigkeiten meistern, von Naturkatastrophen bis zu Geschwisterstreitigkeiten, und am Ende noch enger miteinander verbunden sein. Besonders gebannt hatte ich die Folge gesehen, in der der Vater Geige spielt und die Mädchen in der kleinen Hütte tanzen,
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