Eine ungezaehmte Lady
den Fersen. Die Brüder hatten ihr Aussehen ebenso stark verändert wie Crystabelle. Das zerzauste lange Haar war kurz geschnitten und ordentlich frisiert. Bis auf getrimmte Schnurrbärte waren ihre Gesichter glatt rasiert. Sie trugen blaue Baumwollanzüge mit abgerundeten Kanten und auf dem Kopf Melonen.
»Das ist meine Schwester Crystabelle«, begann Ralf.
»Wir sind die Hayes-Brüder. Ich bin Burt, und das ist Bob.«
Crystabelle zwinkerte, musterte die beiden und begann zu lachen. »Ich glaube, wir sind uns schon begegnet. Ihr kennt mich unter dem Namen Angel.«
Burts Augen weiteten sich vor Überraschung.
»Das ist ja ein Ding«, stieß Bob hervor.
»Ich kehre in mein wahres Leben zurück.« Crystabelle faltete sittsam die Hände.
Burt sah von Crystabelle zu Rafe und dann zu Sharlot. »Ihr habt sozusagen alle verdeckt ermittelt?«
»Mann, bin ich froh, dass ich Schausteller und kein Bandit bin«, meinte Bob. »Sonst wäre ich jetzt in großen Schwierigkeiten.«
»Wie schön, euch alle wiederzusehen«, sagte Crystabelle. »Ich hoffe, ich kann mich darauf verlassen, dass ihr meinen Ausflug ins Indian Territory vertraulich behandelt. Schließlich bin ich Lehrerin und sollte mich an die Regeln der Moral halten.«
»Ich werde dich besuchen. Wir müssen uns unterhalten«, erklärte Rafe. »Es freut mich, dass du wieder als Lehrerin arbeiten willst.« Er wünschte, er hätte sie dazu überreden können, länger zu bleiben, aber sie war stur wie ein Maultier. Schon als Kind hatte man sie von nichts abbringen können, wenn sie sich einmal zu etwas entschlossen hatte. Wenn er es versucht hatte, war alles nur noch schlimmer geworden. Er würde sie jetzt gehen lassen, aber sie würden sich schon bald ausführlich miteinander unterhalten.
»Wahrscheinlich für den Rest meines schrecklich langweiligen Lebens«, erwiderte Crystabelle. »Nun muss ich los, damit ich meine Kutsche nicht verpasse.«
»Warte!« Bob hob eine Hand. »Wir werden dich fahren.«
»Eine so vornehme Dame sollte nicht zu Fuß gehen«, stimmte Burt ihm zu und bot ihr seinen Arm an.
Rafe beobachtete verblüfft, wie seine Schwester ihre zierlichen Hände links und rechts auf die muskulösen Arme der beiden großen Brüdern legte und mit ihnen davonging.
Burt warf einen Blick zurück. »Wir sind bald wieder da!«
»Glaubst du, sie ist bei ihnen in Sicherheit?«, fragte Rafe.
Lady kicherte. »Wahrscheinlich werden sie versuchen, eine Möglichkeit zu finden, eine Lehrerin auf eine Bühne zu bringen.«
»Das würde ich ihnen zutrauen.«
»Sie ist in guten Händen. Lass uns die Sache hinter uns bringen.« Lady ging die Stufen hinauf und zog die Tür auf.
43
Als Lady mit Rafe den Gerichtssaal betrat, atmete sie tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen. Sie trug ein modisches dunkelgrünes Kostüm mit einer Turnüre hinten am Rock, einen Hut mit Federn über ihrem ordentlich gebundenen Haarknoten und weiße Handschuhe. Sie hatte sich Mühe gegeben, um von Kopf bis Fuß wie eine ehrbare Dame auszusehen. Sie hatte auf dem Aussichtspunkt für Hunderte Menschen gesungen. Und sie hatte eine Schießerei mit Zip Rankin überlebt. Zwei mächtige Männer würden sie daher nicht einschüchtern können.
Überrascht stellte sie fest, dass nur Richter Isaac Parker und Marshal Thomas Boles zugegen waren. Richter Parker trug einen dunklen Anzug mit Krawatte und ein weißes Hemd. Sein volles Haar war kurz geschnitten, und sein Schnurrbart und sein Kinnbart waren leicht ergraut. Marshal Boles wirkte in seinem dunkelgrauen Anzug ziemlich unscheinbar. Beide umgab eine Aura der Macht und Entschlossenheit.
Ein hüfthoher dunkler Holzzaun trennte den Gerichtssaal von dem Eingangsbereich. Auf der anderen Seite erhoben sich zwei runde Holzpfeiler bis zu der hohen Decke. Die Wände waren weiß getüncht, und die Türen und Fenster waren mit Holz verkleidet.
Der Richter saß auf einem erhöhten Podium aus dunklem Holz unter einem schmiedeeisernen Kronleuchter mit sechs runden Leuchten. Vor dem Richterpodium standen zwei rechteckige Tische mit passenden Stühlen.
Marshal Boles erhob sich von einem der Tische und winkte sie zu sich. Rafe drückte die Schwingtür auf, und Lady betrat vor ihm den Saal.
»Willkommen«, sagte Richter Parker und trat von seinem Podest herunter. »Bitte kommen Sie zu uns.«
Lady nahm mit Rafe gegenüber von Richter Parker und Marshal Boles Platz. Obwohl sie sich äußerlich ruhig gab, überschlugen sich die Gedanken in ihrem Kopf. Ihr wurde
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