Eine ungezaehmte Lady
wäre ein Bad in einem sehr kalten Fluss jetzt das Sinnvollste gewesen. Doch offenbar stand ihm das Wasser ohnehin schon bis zum Halse. Also war es am klügesten, wenn er es sportlich nahm und das Beste daraus machte.
Er griff nach der Laterne und stellte sie an die Hintertür, damit sie ein wenig Licht hatten, während sie die Pferde versorgten, aber dennoch nicht bemerkt wurden. Dann watete er zu dem Stall hinüber, der einst genug Pferde beherbergt hatte, um eine Kutschenverbindung von Missouri nach Texas zu unterhalten.
Da die Gleise der Katy Railroad mittlerweile durch das Gebiet der Choctaw nach Westen verliefen, nahmen die meisten Passagiere heute diese Route. Nur im östlichen Indian Territory war man noch auf die Postkutsche angewiesen, um von einem Ort zum anderen zu kommen.
Der süße Geruch von Heu und Hafer stieg ihm in die Nase, und er stellte fest, dass beide Pferde die Mäuler bereits in Futtereimern stecken hatten.
»Wie hast du dieses Kaninchen aus dem Hut gezaubert?«
»Den Hafer bewahre ich in alten Gurkenfässern auf. Die Heuballen oben auf dem Heuboden.«
»Gute Idee.«
»Ich habe einige dieser Verstecke. Ich komme ohne Essen aus, aber nicht ohne mein Pferd.« Sie kraulte Jipsey zwischen den Ohren. »Draußen steht ein leeres Fass, um Regenwasser zu sammeln.«
»Davon haben wir heute Nacht ja mehr als genug.« Lady hungerte, aber nicht ihr Pferd. Er konnte nicht anders, als sie zu bewundern. Doch das spielte keine Rolle. Auch der übelste Bandit hatte sicher ein paar gute Seiten.
Falls sie wirklich hängen musste, würde er dabei sein, um sie in ein besseres Leben zu verabschieden. Selbst wenn das hieß, dass ein Teil von ihm ebenfalls am Galgen sterben musste.
»Lass uns das Sattelzeug ins Haus schaffen.« Lady öffnete Jipseys Riemen, und sie nahmen gemeinsam den Sattel ab.
»Ich erledige das.« Er wollte ihr beweisen, dass er nicht nur eine Belastung war. Also griff er nach dem Sattel. Doch sie wehrte sich und hielt fest. Das Tauziehen dauerte eine Weile an. »Lady, lass los. Ich erledige das mit den Pferden.«
»Ich kann mein Pferd selbst versorgen.« Sie zerrte heftig an dem Sattel.
»Warum darf ich nicht endlich auch einmal etwas tun?« Als er ihr den Sattel entreißen wollte, klammerte sie sich weiter daran. Sie war viel stärker, als ein Mann vermutet hätte.
»Lässt du jetzt endlich los?«, zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Ich will doch nur helfen.«
Ein Blitz zuckte so nah, dass er beinahe in den Stall eingeschlagen hätte.
Als es ohrenbetäubend donnerte, zuckten beide Pferde zusammen, warfen die Köpfe hin und her und traten mit den Hinterbeinen aus.
Rafe wich vor den Hufen zurück und riss dabei Lady mit sich. Die beiden stürzten aus dem Gebäude in den Hof hinaus, wo sie, eng umschlungen und vom prasselnden Regen umtost, unter dem schweren Sattel landeten.
Rafe nahm nichts mehr um sich herum wahr, nur noch Lady, so warm und nass und dicht bei ihm. Ihr Geruch war bittersüß. Er fand, dass sie diesmal nach Lavendel und Zimt duftete. Sie hatte ihm das Gesicht zugekehrt. Ihr Atem streifte warm seine Wange, ihr langes Haar hatte sich um seinen Arm gewickelt, und ein schlankes Bein ruhte auf seinem Oberschenkel. Die glühende Hitze von vorhin verwandelte sich in geschmolzene Lava. Und dennoch waren seine Gefühle für sie zärtlich. Er wusste, dass sie müde und besorgt war und sich um ihr Pferd kümmern wollte. Wenn er nicht versucht hätte zu helfen, wäre das alles nicht geschehen.
»Ich glaube«, sagte sie, schob eine Hand zwischen sie und drückte schwach gegen seine Brust, »ich habe einen Tritt abgekriegt. Mir ist so schwummerig im Kopf.«
»Mist, das tut mir leid.« Allerdings tat ihm gar nicht leid, dass sie so dicht bei ihm lag und offenbar nicht klar genug denken konnte, um sich zu sträuben. »Halt still, damit ich den verdammten Sattel wegnehmen kann.«
»Schimpf nicht auf meinen Sattel«, protestierte sie, wobei ihre Sprache verwaschen klang. »Maßarbeit, extra für mich angefertigt.«
»Ich passe auf.« Er verdrehte die Augen, während er den Sattel mit einer Hand hochhob und in eine Pfütze warf. Dann tastete er vorsichtig ihren Kopf ab. Obwohl er eigentlich wie ein Arzt und nicht wie ein Liebhaber hätte denken sollen, machte es ihm Freude, sie zu berühren.
»Autsch!«
»Du hast da eine Beule. Wahrscheinlich wird sie von Minute zu Minute größer.«
»Wir wollen … die Pferde versorgen.«
»Jetzt wirst du ausnahmsweise einmal
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