Eine ungezaehmte Lady
die Höhle des Löwen vorzuwagen?«
»Warum nicht.« Er warf einen Blick auf den Saloon und wandte sich dann wieder ihr zu.
Sie nickte. Ihr Puls beschleunigte sich bei dem Gedanken daran, was nun vor ihnen lag. Ihre Fingerspitzen prickelten vor Aufregung. »Lass uns gehen.«
Während die Sonne im Westen unterging, führte Lady Rafe über die festgetretene Erde zum Eingang des Saloons. Ihre langen Schatten eilten ihnen voraus. Das Haus aus grob behauenen, verwitterten Holzstämmen wirkte ein wenig heruntergekommen. Zwei große Räume waren durch einen offenen Gang unter einem Schindeldach miteinander verbunden. Zwei verrußte quadratische Fenster schienen ihre Ankunft zu beobachten. Aus dem Kamin aus Flusssteinen quoll Rauch.
An den Pfosten vor dem Gebäude waren einige Pferde angebunden. Sie ließ rasch ihren Blick darübergleiten und war erleichtert, als sie die Füchse der Hayes-Brüder entdeckte. Wenn sie den Brüdern Ma Engles Totenschmuck abgenommen hatte, konnte sie sich voll und ganz auf Copper konzentrieren. Sie konnte nur hoffen, dass sie die Brosche nicht weggeworfen hatten.
Sie brachte Jipsey vor der Hälfte des Gebäudes zum Stehen, in der der Saloon untergebracht war. In dem Raum auf der anderen Seite standen ein Dutzend Betten, wo die Gäste ihren Rausch ausschlafen, sich nach einer Rauferei erholen oder sich vor Gesetzeshütern verstecken konnten. Rafe lenkte seinen Wallach neben ihr Pferd. Sie tauschten einen bedeutungsvollen Blick aus, nickten sich zu, stiegen ab und rückten ihre Pistolengürtel zurecht.
So weit, so gut. Lady atmete tief durch. Vielleicht konnten sie einfach hineinspazieren und dann wieder verschwinden, ohne dass es Ärger geben würde. Aber sie machte sich, wie immer, auf das Schlimmste gefasst.
Sie traten in den schattigen Durchgang. Die Türen zum Saloon und zu dem Schlafraum standen offen. Der Gestank nach Alkohol, Tabak und Schweiß drang heraus. Lady tankte mit einem tiefen Atemzug noch ein wenig frische Luft, bevor sie die zwei ausgetretenen Holzstufen zum Saloon hinaufging. Rafe war dicht hinter ihr, warm und stark. Sie zögerte einen Augenblick und wartete, bis sich alle Augen auf sie richteten.
Im Boggy Saloon fehlte die Hand einer Frau. Der Boden war dunkel vor Schmutz und verfärbt vom Tabaksaft, der die Spucknäpfe verfehlt hatte, und von verschüttetem Whiskey, und überall lagen getrocknete Bohnen herum. Männer mit Schnurrbärten, die ihre Gesichter verbargen, hielten ihre Pistolen griffbereit unter dem Tisch, während sie Poker spielten und Whiskey tranken.
Alle Tische und Stühle in dem Raum waren grob aus den Bäumen der Umgebung gezimmert worden. Die Bar bestand aus einem in der Mitte gespaltenen Baumstamm. Im Laufe der Zeit war das Holz nachgedunkelt, und viele Hände hatten die rauen Kanten geglättet.
Die Hayes-Brüder, zwei breitschultrige Riesen mit wirrem schwarzem Haar und zotteligen Bärten, rotkarierten Hemden, schwarzen Wollhosen mit Hosenträgern und schweren Arbeitsstiefeln, lehnten an der Bar. Beide hielten ein Schnapsglas in der Hand.
Der Saloonkeeper Crowdy, ein schlaksiger Cherokee mit hohen Wangenknochen und einem kantigen Kinn, stellte zwei mit blauem Porzellan verkleidete Blechschalen mit Bohnen auf die Theke und steckte zwei Löffel hinein. Dann schob er eine Flasche Whiskey dazu.
Sie kannte Crowdy seit ihrer Kindheit. Seine glatte, walnussfarbene Haut und sein dichtes schwarzes Haar machten es schwer, sein Alter zu schätzen. Früher war er öfter zu ihnen auf die Ranch gekommen, um Dad mit den Pferden zu helfen. Sie vertraute ihm und verließ sich darauf, dass er niemals ihre wahre Identität verraten würde.
Crowdy sah auf und entdeckte sie. »Hey, Lady! Die Lady mit dem Colt.« Er winkte sie herein und verzog die Lippen zu einem leichten Lächeln. »Schaut her, Jungs. Hier kommt das Beste, was das Indian Territory zu bieten hat.«
Lady setzte ihr berühmtes Lächeln auf, strahlend und mit einem leichten Anflug von Spott, und betrat den Raum. Die Männer hielten inne. Sie stellten ihre Gläser hin und legten die Karten aus der Hand, um sich ihr zuzuwenden. Sie stützte ihre Hände in die Hüften und lachte leise und verführerisch.
»Lady … Lady … Lady.«
Überall im Raum wurde ihr Spitzname gerufen. Die Augen der Männer funkelten aufgeregt, und sie fühlte sich wie immer verpflichtet, ihr Publikum nicht zu enttäuschen.
Einen Moment lang hatte sie Schwierigkeiten, sich in ihre Rolle einzufinden. Ihr war klar, dass das
Weitere Kostenlose Bücher