Eine ungezaehmte Lady
an Rafe lag. Er hatte darauf bestanden, dass sie sich ihm gegenüber nicht verstellte. Und er hatte sogar ihren echten Namen wissen wollen. Sie hatte sich daran gewöhnt und sogar ganz allmählich zu sich selbst zurückgefunden. Jetzt musste sie die Wahrheit beiseiteschieben und wieder so sein, wie diese Männer und andere Leute es von ihr erwarteten. Tränen trübten ihren Blick. Es war lächerlich, aber sie fühlte sich plötzlich wie eine Jungfrau in Nöten. Am liebsten hätte sie sich umgedreht, ihr Gesicht an Rafes starker Brust vergraben und die Lady mit dem Colt zum Teufel geschickt.
Sie war schockiert, blieb wie angewurzelt stehen und zwang sich dazu, weiterzulächeln. Sie durfte es nicht zulassen, dass sie wegen Rafe schwach wurde, ihre Pflicht vergaß und ängstlich davonrannte. Der Gerechtigkeit Genüge zu tun war alles, was zählte. Egal, welchen Preis sie dafür zahlen musste.
»Hey, Jungs.« Lady drängte ihre Tränen zurück und senkte ihre Stimme zu einem tiefen, sinnlichen Ton. »Ich habe gehört, dass sich hier im Boggy einige attraktive Kerle versammelt haben. Da musste ich natürlich vorbeischauen, um mich selbst davon zu überzeugen.«
Hinter der Bar nickte Crowdy und ließ seine dunklen Augen über seine Gäste gleiten.
Lady schaute sich übertrieben sorgfältig in dem Raum um und musterte einen Mann nach dem anderen. »Mal sehen.« Sie legte ihren Zeigefinger an ihr Kinn und neigte den Kopf zur Seite. »Ich glaube, die Gerüchte sind wahr. Ich werde wohl eine Weile hierbleiben.«
»Verdammte Idioten«, flüsterte Rafe hinter ihr.
Sie ignorierte ihn, obwohl sie ihm am liebsten eine Hand auf den Mund gedrückt hätte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sie konnte nur hoffen, dass niemand ihn gehört hatte.
»Gibt es hier einen hübschen Kerl, der einer Lady einen Drink spendieren möchte?«
»Du bekommst einen Drink für jedes Lied, das du für uns singst.« Crowdy hob ein Schnapsglas hoch und richtete es mit der Öffnung voraus auf sie.
»Soll das heißen, ich muss für meinen Whiskey arbeiten?« Lady klimperte mit ihren langen Wimpern und verzog die roten Lippen zu einem Schmollmund.
»Was soll’s, komm rüber zu uns«, sagte Burt Hayes. »Du kannst dich aus unserer Flasche bedienen.«
»Oder ein Choc haben«, fügte Bob Hayes hinzu.
»Ihr seid wirklich großzügig.« Lady lächelte, obwohl sie bei dem Gedanken an das starke Choctaw-Bier schauderte, und ließ ihren Blick wieder über die Männer gleiten. »Ich könnte auch ein Lied singen, falls niemand etwas dagegen hat.«
»Lady … Lady … Lady.«
»Später, Jungs. Zuerst muss ich mir die Kehle anfeuchten.« Dann trat sie einen Schritt zur Seite und streckte Rafe eine Hand entgegen, so als hätte sie sich soeben erst wieder an ihn erinnert.
Er ging in den Saloon hinein.
»Wer ist das?«, fauchte Crowdy, hob sein Gewehr und richtete die Mündung auf die offene Tür.
»Fast John.« Lady lächelte und fuhr sich betont mit der rechten Hand durchs Haar, damit jeder sehen konnte, dass ihre Finger weit weg von ihrem Colt waren. Damit wollte sie zeigen, dass weder sie noch Rafe Ärger machen würden. »Ich habe ihn in Bend kennen gelernt. Er spielt gern Karten.«
Alle Augen richteten sich auf Rafe. Die Männer nahmen ihn ins Visier wie ein Adler seine Beute und ließen ihre Hände über ihren Waffen schweben. Crowdy spannte sein Gewehr.
»Ich habe Fast John gesagt, er könne hier im Indian Territory eine Weile untertauchen«, erklärte Lady und deutete damit an, dass er vor den Gesetzeshütern auf der Flucht war. »Und ich habe ihm auch gesagt, dass man hier im Boggy gern pokert.«
Trotz ihrer unerschrockenen Worte schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie fragte sich, ob die Banditen möglicherweise zuerst schießen und erst später Fragen stellen würden.
20
»Das Indian Territory kommt mir ein wenig gastfreundlicher vor als Tombstone.« Rafe ließ seine Stimme bestimmt, aber freundlich klingen.
Er durfte weder Schwäche noch Aggression zeigen. Das hier war eine Gratwanderung – und nicht seine erste.
»Kommst du von dort?« Crowdy richtete immer noch das Gewehr auf ihn, aber seine Frage entspannte die Situation ein wenig.
Rafe grinste Lady an, legte seinen linken Arm um ihre Taille und zog sie an sich. »Dort draußen gibt es nichts Besseres als die Lady mit dem Colt.«
»Natürlich nicht.«
Sie warf ihm einen überraschten Blick zu, klopfte jedoch dann gegen seine Brust und sah bewundernd zu ihm hoch. In ihren Augen
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