Eine ungezaehmte Lady
Eltern entstanden war, loslassen zu können. Bald würde sie für ausgleichende Gerechtigkeit sorgen können, das spürte sie tief in ihrem Inneren. Und dann würde sie die Vergangenheit auf sich beruhen lassen und in die Zukunft blicken können.
Worte und Melodien ergriffen Besitz von ihr, als sie ein Lied nach dem anderen vortrug und dabei beobachtete, wie ihr Publikum sich rhythmisch dazu bewegte. Noch nie hatte sie so viel Gefühl in ihre Lieder gelegt und den Eindruck gehabt, damit auch ihre Zuhörer zu erreichen.
Eine bewegende Erfahrung. Irgendwann würde sie wieder auf die Erde zurückkommen und sich mit den Schwierigkeiten des Lebens auseinandersetzen müssen, aber noch nicht gleich.
Als ihr Programm sich schließlich dem Ende näherte, lächelte sie ihr Publikum an und empfand sowohl Trauer als auch Freude.
»Ich weiß, dass ihr alle noch viel mehr für diesen Abend geplant habt, also möchte ich mich jetzt bei Sonnenuntergang mit der ›Ballade von der Lady mit dem Colt‹ verabschieden. Das ist eines meiner Lieblingslieder, und ich hoffe, es gefällt euch auch.«
Die Zuhörer johlten und pfiffen und trampelten zustimmend mit den Füßen auf den Boden.
Sie rücken nur ungern die Pferde raus
Und trennen sich weinend vom Gold
Doch hier am Red River regiert nunmal
Die Lady mit dem Colt.
Sie klatschte in die Hände und forderte alle auf: »Singt mit mir!«
Sie kennt keine Gnade, sie kennt kein Gesetz,
die Lady mit dem Colt.
Als der letzte Ton verklang, entspannte Lady sich. Sie hatte das Gefühl, einen guten Auftritt geboten zu haben. Wieder sah sie sich nach Rafe um. Und dann entdeckte sie ihn. Der Schock schnürte ihr die Kehle zu und ließ sie verstummen. Er lag in den Armen einer großen, schlanken Frau mit langem rotbraunen Haar. Er hatte bereits gegen ihre Abmachung verstoßen. Ihr wurde übel. Und sie war wütend!
Sie verbeugte sich, und als sie sich wieder erhob, sah sie, wie Bob den großen Cowboyhut herumgehen ließ. »Vielen Dank. Viel Spaß noch heute Abend.«
Sie trat von der Felskante zurück und warf Burt einen Blick zu.
Er zwinkerte ihr zu und kam zu ihr. »Die Leute sind recht großzügig! Die Lady hat alles für sie gegeben! Bob reicht den Hut herum. Wenn sie dich nicht finden, dann finden sie ihn. Wir alle wollen, dass Lady noch einmal für uns singt, also zeigt euch großzügig. Vielen Dank.«
Er trat vor Lady, griff nach ihren Händen, drückte sie und ließ sie dann wieder los. »Du warst sehr, sehr gut. Du bist unser Star.«
Sie lächelte, obwohl sich ein heißer Schmerz in ihre Brust bohrte. »Du und Bob sollt fünfzehn Prozent von dem Inhalt des Huts bekommen.«
»Aber Lady …«
»Das ist mein Ernst. Ihr beide habt mir sehr geholfen, und deshalb verdient ihr es.«
Burt grinste. »Danke. Vertraust du uns bei der Abrechnung?«
»Natürlich, das weißt du doch.« Sie hob die Hand und schlug ihm auf die breite Schulter. »Du solltest darüber nachdenken, deine Fähigkeiten als Schausteller weiter einzusetzen. Du machst das wirklich gut.«
Er senkte kurz den Kopf und schaute sie dann wieder an. »Glaubst du?«
»Ja, wirklich.«
»Bob und ich haben uns bereits darüber unterhalten. Wir glauben, dass wir uns darum kümmern könnten, dass du an weiteren Orten singen und dort gut Geld verdienen kannst.«
Lady grinste. »Und dafür wollt ihr eine Beteiligung haben?«
Burt nickte hoffnungsvoll. »Vielleicht zwanzig Prozent?«
»Da schlage ich ein.« Lady streckte ihre Hand aus.
»Meinst du das ernst?« Burt schien überrascht zu sein, aber er reichte ihr seine große Pranke.
Nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, begriff Lady, dass sie die Vergangenheit bereits hinter sich gelassen hatte und nun vorwärts schritt. Sie würde Copper bald finden. Irgendwie, irgendwo. Sie wusste, dass Epona es nicht zulassen würde, dass man ihn tötete.
Burt warf seinen Hut in die Luft und fing ihn wieder auf. »Lass es uns Bob erzählen.«
Sie lächelte bei seinem Freudenausbruch, aber in ihrem Inneren kochte sie vor Wut. »Ich muss mich zuerst umziehen.«
»Natürlich, du willst das schöne Kleid nicht ruinieren.«
»Ich brauche es für die nächste Vorstellung, richtig?«
»Allerdings. Es wird eine Menge davon geben.« Burt deutete auf das Zelt. »Ich werde auf dich warten.«
»Danke für alles, Burt.« Sie zog die Plane zurück und betrat das Zelt. Sie hatte vor, sich so zu kleiden, dass sie für Schwierigkeiten gewappnet war. Also würde sie ihren grünen
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