Eine unheilvolle Begegnung
verließ er schnell ihr Büro.
Cathy stand einige Meter von der Grube entfernt, in die gerade der weiße, geschmückte Sarg von Professor Marsh gesenkt wurde. Die Trauerfeier in der kleinen Kapelle war glücklicherweise nur kurz gewesen. Außer den Mitarbeitern des Instituts, einigen Studenten und drei Mitgliedern von Marshs Familie war niemand anwesend. Zwei oder drei Polizisten in Zivil hielten sich in der Nähe auf, um zu sehen, ob sich vielleicht einer der Täter blicken ließ. Sie rechneten nicht damit, aber sie mussten sichergehen. Unbeirrbar glitt Cathys Blick wieder zu Tom zurück, der bei der Gruppe der Studenten stand. Auch er schien sie ständig im Auge zu behalten. Jedes Mal, wenn sich ihre Blicke trafen, versetzte es ihr einen Schlag. Aber sie hatten es tatsächlich geschafft, seit dem letzten Kuss in ihrem Büro die Finger voneinander zu lassen. Was allerdings eher Toms Verdienst war. Es schien, als wäre sie selbst zu schwach, sich gegen ihre Gefühle zu wehren. Zusätzlich war sie sich auch nicht sicher, ob sie Toms strenge Maßnahme richtig fand.
Tom war es gelungen, sich irgendwo eine Luftmatratze zu besorgen, und darauf schlief er jetzt, während sie in seinem Bett lag. Allerdings wäre ihr die Matratze fast lieber, denn im Bett wurde sie ständig an ihr Zusammensein dort erinnert, in allen Details. Noch gestern war sie dort mit ihm glücklich gewesen, war eng an ihn geschmiegt eingeschlafen. Heute Abend würde sie auf jeden Fall das Bett neu beziehen, damit sie wenigstens nicht mehr durch den Geruch an ihr Liebesspiel erinnert wurde. Energisch versuchte sie, ihre Gefühle beiseitezuschieben und sich darauf zu konzentrieren, was um sie herum passierte.
Marshs Mutter warf gerade heftig schluchzend eine weiße Rose auf den Sarg und verließ, gestützt von ihrem Neffen, die Grabstätte. Nacheinander warfen alle Anwesenden Blumen oder ein wenig Erde auf den Sarg und verließen rasch den Friedhof. Sogar das Wetter passte zum Anlass, eine dichte Wolkendecke hatte sich drohend über die Stadt gelegt, und es schien, als würde es jeden Moment anfangen zu regnen. Das entsprach absolut ihrer momentanen Stimmung. Der einzige Lichtblick war, dass es Sam scheinbar gut ging und sie in Sicherheit war. Alles andere wie die Mehrarbeit durch Marshs Tod, Sams Abwesenheit, die Bedrohung durch Kriminelle und die momentane Pause in ihrer Beziehung zu Tom ging ihr gehörig gegen den Strich. Sie war es gewöhnt, unabhängig zu sein, tun und lassen zu können, was sie wollte. Im Moment wurde sie jedoch von allen Seiten gezwungen, genau das Gegenteil davon zu machen.
Angewidert von sich selbst schüttelte sie den Kopf. Sie erging sich hier in Selbstmitleid, während Marsh tot war. Er würde sich nie wieder über etwas freuen oder ärgern können. Bei diesem Gedanken wuchs der Druck in ihrer Kehle. Mit brennenden Augen starrte sie in das Grab, bevor sie ihre Blume auf den Sarg fallen ließ. Schnell drehte sie sich um und marschierte über die Rasenfläche zur Straße, wo ihr Wagen stand. Sie wollte nur weg von diesem kalten, traurigen Ort. Ein Zittern lief durch ihren Körper, und sie beschleunigte ihren Schritt. Plötzlich fühlte sie eine Person hinter sich.
Bevor sie sich umdrehen konnte, hatte Tom sie schon eingeholt. »Wie geht es dir?«
Sie blickte ihn kurz von der Seite an und senkte dann wieder den Blick. »Gut, und dir?«
»Auch.« Er berührte kurz ihren Arm, dann steckte er seine Hand schnell wieder in seine Hosentasche. »Fährst du jetzt gleich zu meiner Wohnung?«
»Ja, das hatte ich vor.«
Er nickte. »Gut. Wir sehen uns dann dort.« Damit strebte er mit langen Schritten in Richtung seines Jeeps.
Cathy blieb stehen und blickte ihm hinterher. Wie machte er das? Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt, damit sie ihn nicht anfasste, und er ging einfach so weg? Vielleicht sehnte er sich einfach nicht so nach ihr wie sie sich nach ihm. Cathy schüttelte den Kopf. Unsinn. Sie hatte ihn schon mehrfach dabei erwischt, wie er sie mit einem so sehnsüchtigen Blick angesehen hatte, dass sie dabei fast geschmolzen wäre. Sie sollte ihn für seine Willenskraft bewundern und nicht an seinen Gefühlen zweifeln. Cathy schnaubte. Wenn das nur so einfach wäre.
Bereits eine Woche war vergangen, und sie hatten immer noch keine Spur, die zu den Vermissten führte. Immerhin hatte Gerald herausgefunden, dass Frank Tanner ein falscher Name war. Denn bei genauerer Betrachtung des Ausweises, den sie in Franks Portemonnaie
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