Eine unheilvolle Begegnung
ihn das letzte Mal gesehen hatte, schien Gerald gealtert zu sein. Er war immer noch makellos gebräunt und frisiert, aber um die Augen herum glaubte Morgan einige tiefere Falten zu sehen, die vorher noch nicht da gewesen waren. Vielleicht täuschte er sich aber auch. Gerald war kalt wie ein Fisch, außer wenn er sich ärgerte und sich sein aufbrausendes Temperament zeigte.
Jetzt erhob er sich und ging auf die Gruppe zu. »Wie ich sehe, habt ihr es doch noch geschafft.« Er blickte Morgan mit seinen herzlosen grünen Augen an. »Wie nett, dass wir uns noch einmal wiedersehen, Frank. Oder sollte ich lieber Morgan sagen?« Er betrachtete ausgiebig Morgans blonde, mit Blut verklebte Haare. »Es war klug, dass du dir die Haare gefärbt hast. Ich hätte sonst sofort die Ähnlichkeit bemerkt.« Ein Lächeln zuckte um seinen Mund. »Natürlich war Mara viel hübscher als du.«
Morgan ballte hilflos die Hände zu Fäusten. Was würde er darum geben, auf Gerald losgehen zu können. Dieses Schwein hatte kein Recht, ihren Namen in den Mund zu nehmen.
»Weißt du, ich habe sie wirklich gemocht.«
»Ja? Wieso hast du sie dann umgebracht?« Morgan hatte das nicht fragen wollen. Es war ihm einfach so herausgerutscht. Er kniff den Mund zusammen und beobachtete mit stiller Wut, wie Geralds Gesicht erst versteinerte, um sich dann in ein Lächeln zu verwandeln.
»Guter Versuch. Obwohl ich es dir eigentlich sagen kann, schließlich bleibt es ja sozusagen in der Familie.« Langsam lehnte Gerald sich mit der Hüfte gegen die Schreibtischkante. »Mara war zu neugierig und hat etwas über mich erfahren, was sie nicht wissen sollte. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie mit jemandem telefonierte und demjenigen etwas über meine Geschäfte erzählen wollte.« Er brach ab, als Morgan seine Augen zukniff. »Ach, das warst also du. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wen sie wohl angerufen haben könnte. Der Anruf ließ sich aber nicht zurückverfolgen.« Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht und machte einem Ausdruck kaum verhüllter Wut Platz. »Niemand hintergeht mich, ohne dass er dafür bezahlen muss! Auch wenn es sich um meine Geliebte handelt. Oder erst recht, denn ich erwarte höchste Loyalität von jemandem, der mit mir das Bett teilt.«
»Also hast du ihr reines Heroin gespritzt.« Morgan erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Endlich hatte er Gerald da, wo er ihn haben wollte. Aber zu was für einem Preis – Sams Leben und sein eigenes waren verwirkt. Gerald konnte sie gar nicht mehr gehen lassen, jetzt, wo er Maras Mord gestanden hatte.
»Nein. Erst habe ich sie gevögelt, und dann habe ich ihr das Heroin gespritzt. Sie hat geschlafen und nichts davon gemerkt.«
Mit überraschender Kraft riss Morgan sich von seinem Bewacher los und stürzte sich auf Gerald. Der blieb einfach still sitzen und richtete eine Pistole auf Sams Kopf. Morgan stoppte abrupt, Zentimeter von Gerald entfernt. Schwer atmend presste er seine Hände zusammen, damit er sie nicht doch um Geralds Hals legte.
»Schön brav, sonst hat deine Begleiterin gleich ein Loch in ihrem zwar zerzausten, aber doch recht hübschen Kopf. Und das wäre doch wirklich schade.«
Morgans Kiefermuskeln mahlten, doch er sagte nichts.
Gerald blickte zwischen ihnen hin und her, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Seid ihr euch etwa nähergekommen? Wie niedlich. Dann wird es mir ein Vergnügen sein, dich zusehen zu lassen, wie deine kleine Freundin stirbt.«
An der Einmündung der Straße, die zu Gerald Whites Villa führte, bog Zach nach rechts ab und suchte dann einen Parkplatz. Er stellte das Auto etwas entfernt ab, um dann zu Fuß den Hügel erklimmen zu können. Sie konnten schließlich nicht mit dem Mietauto direkt vor der Haustür parken. Zach und Joe stiegen aus und machten sich auf den Weg. Als sie um die Ecke bogen, löste sich ein großer, kräftiger Mann aus dem Schatten einer Hecke und stellte sich ihnen in den Weg. Zach griff sofort nach seiner Waffe, während Joe wieder in Angriffshaltung überging.
»Murdock?«
Zach ließ die Hand wieder sinken. »Ja. Sind Sie Gonzalez?«
»Ja. Kommen Sie, wir haben nicht viel Zeit.« Er drehte sich um und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
Zach trat neben ihn, während Joe das Schlusslicht bildete. »Woran haben Sie mich erkannt?«
»Die Hose.«
Zach blickte verwundert nach unten. »Was ist damit?«
»Sieht nach New York aus.« Zach drehte sich zu Joe um, doch der zuckte nur mit den Schultern.
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