Eine unheilvolle Begegnung
es endlich etwas nachgab. Sam hätte bei jeder Bewegung ihrer Arme vor Schmerz aufschreien können, doch sie unterdrückte diesen Drang. Ihre Schultergelenke brannten wie Feuer, und ihre Arme prickelten, als der Blutfluss langsam wieder in Gang kam. Sam presste die Zähne zusammen, bis sie meinte, ihr Kiefer müsste brechen. Dann war es so weit: Mit einem Triumphlaut zog Morgan das Seil von ihren Händen und warf es zur Seite. Behutsam löste er ihre Hände voneinander und massierte erst den einen, dann den anderen Arm. Sam keuchte, als der Schmerz unerträglich wurde.
Morgan zuckte zusammen, als er den Laut hörte, und fuhr sanfter mit der Massage fort. Minuten später zog er Sam in seine Arme und wiegte sie hin und her. Mit seinem Schmerz konnte er leben, schließlich war er selbst schuld an dieser Misere. Aber dass Sam seinetwegen erneut leiden musste, war unerträglich für ihn. Schließlich schob er sie sanft von sich und erhob sich. Schwankend stand er einen Moment gebückt da, dann bewegte er sich auf die hinteren Türen des Lieferwagens zu.
»Was tust du da?«
»Ich suche nach einem Ausweg.«
»Es gibt keinen. Sie haben die Türen zugeschlossen, bevor sie losgefahren sind.«
Verdammt, aber selbst wenn die Tür zu öffnen gewesen wäre, hätten sie nichts machen können. Sie konnten schließlich nicht mitten auf dem Highway bei 65 Meilen pro Stunde vom Wagen springen. Aber in Grand Junction hätten sie es vielleicht an einer roten Ampel versuchen können.
Morgan sah ein, dass er nichts ausrichten konnte, und kehrte zu Sam zurück. »Ich fürchte, wir müssen warten, bis sie anhalten und die Türen öffnen.«
Sam presste sich dicht an ihn. »Und dann?«
Morgan zuckte mit den Schultern. Seine Stimme klang entschuldigend. »Ich weiß es nicht.« Er küsste sie auf die Stirn. »Ich werde versuchen, sie zu überraschen. Während ich sie ablenke, möchte ich, dass du losrennst.«
»Aber ich kann dich doch nicht allein lassen!«
»Doch, das kannst du. Ich werde versuchen, ebenfalls zu fliehen und dir zu folgen.«
»Nein.«
»Doch. Hör zu, Sam, das ist höchstwahrscheinlich die einzige Chance, die wir haben.«
»Aber …«
Er ließ sie nicht ausreden. »Willst du leben?«
»Ja, natürlich. Aber ich will, dass du auch lebst!«
»Dann lauf los, wenn ich dir das Zeichen gebe, und versuch, Hilfe für mich zu holen, wenn ich es nicht schaffe. Okay?«
Tränen liefen Sam über die Wangen und tropften auf ihren Schoß. »Okay.« Ihre tränenerstickte Stimme war kaum zu verstehen.
»Braves Mädchen. Und jetzt gib mir einen Kuss.«
Normalerweise hätte ihm Sam für diese Bemerkung sicher einen Kinnhaken verpasst, aber jetzt schmiegte sie sich eng an ihn und presste ihre zitternden Lippen auf seine. Morgan fühlte die Feuchtigkeit ihrer Tränen und schluckte hart. Nein, er wollte nicht sterben, schon gar nicht, wenn er gerade die Frau gefunden hatte, die er liebte. Morgan presste seine Augen zusammen. Wie hatte er die ganze Zeit nicht wissen können, was er für sie empfand? Auf einmal war alles so klar. Er hatte mit seinen Zweifeln so viel Zeit verschwendet. Zeit, in der er Sam ständig hätte sagen können, wie sehr er sie liebte.
Vielleicht fühlte sie ja auch das Gleiche für ihn und hatte sich nur nicht getraut, ihm das zu sagen. Er öffnete den Mund, schloss ihn dann aber gleich wieder. Sollte er ihr seine Liebe wirklich jetzt erklären, wenn er vielleicht in wenigen Stunden tot war und sie alleine weiterleben musste? Oder würde er sie damit nur unnötig belasten? Also zeigte er ihr seine Gefühle wie schon die Tage davor mit seinem Körper. Er drückte sie eng an sich, streichelte ihren Rücken und genoss es, sie in seinen Armen halten zu können. Der Gedanke, dass es das letzte Mal sein könnte, machte ihn furchtbar wütend. Er musste einfach dafür sorgen, dass sie hier beide lebend herauskamen.
Sam wusste nicht, wie lange sie so zusammen in der Dunkelheit saßen, aber ihr kam es wie eine Ewigkeit vor. Als der Wagen auf einmal wieder anfing zu schaukeln und langsamer fuhr, als würde er durch die Straßen einer Stadt fahren, wünschte sie sich, noch mehr Zeit zu haben. Zeit dafür, Morgan noch länger zu berühren, seine Wärme zu spüren, vielleicht doch noch all das zu sagen, wofür sie bisher nicht den Mut gefunden hatte.
»Es kann sein, dass wir bald anhalten. Mach dich bereit.«
»Wie?«
»Wenn wir anhalten und jemand um den Wagen herumkommt, dann legst du dich vorne in die Nähe der Tür.
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