Eine Unheilvolle Liebe
den Song schon lange? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
Ich zuckte die Schultern. Was hätte ich auch antworten sollen? Weil ich ein Idiot war? Weil ich mit Liv nicht über Lena reden wollte? Weil dieses Lied mit schrecklichen Erinnerungen verbunden war? Es kam alles auf dasselbe raus.
»Wie lautet der ganze Text?«
»Es hat etwas mit Sphären zu tun und mit einem Mond, der zu früh erscheint. Dann kommt das mit den Sternen, die den Herzen folgen … An den Rest kann ich mich nicht mehr erinnern.«
Liv ließ sich auf die oberste Stufe der Veranda sinken. »Ein Mond, der zu früh erscheint. Kommt das genau so in dem Lied vor?«
Ich nickte. »Zuerst das mit dem Mond. Dann die Sache mit den Sternen. Da bin ich mir sicher.«
Am Horizont zeigten sich erste Lichtstrahlen. »Den Mond der Berufung zur falschen Zeit heraufbeschwören. Das würde es erklären.«
»Was? Den verschwundenen Stern?«
Liv schloss die Augen. »Es geht um mehr als nur um den Stern. Wenn man einen Mond zur falschen Zeit heraufbeschwört, kann das die gesamte Ordnung der Dinge durcheinanderbringen, die Magnetfelder der Erde ebenso wie die Magie. Das würde auch die Bewegungen am Caster-Himmel erklären. Die Gesetze in der Caster-Welt sind ebenso fein ausgewogen wie die Naturgesetze in unserer Welt.«
»Was könnte dafür verantwortlich sein?«
»Du meinst, wer könnte dafür verantwortlich sein.« Liv zog die Knie an sich heran.
Darauf fiel mir nur ein Name ein. »Sarafine?«
»Bisher hat es keinen Caster gegeben, der mächtig genug war, den Mond zu beschwören. Aber wenn jemand das schafft, dann kann niemand vorhersagen, wann die nächste Berufung erfolgen wird. Oder wo.«
Eine Berufung. Lenas Berufung.
Marians Worte fielen mir ein. Wir können uns nicht aussuchen, was wahr und was falsch ist. Wir können nur wählen, was wir mit der Wahrheit anfangen .
»Wenn von einem Mond der Berufung die Rede ist, dann ist damit Lenas Berufung gemeint. Wir sollten Marian wecken. Sie kann uns helfen.« Aber noch während ich das sagte, änderte ich meine Meinung. Marian konnte uns möglicherweise helfen, aber das hieß nicht, dass sie das auch tun würde. Sie war eine Hüterin, sie durfte sich nicht einmischen.
Liv dachte offenbar das Gleiche. »Glaubst du wirklich, Professor Ashcroft erlaubt uns, Lena zu suchen, nach allem, was beim letzten Mal in den unterirdischen Gängen passiert ist? Ich vermute eher, sie wird uns für den Rest des Sommers im Giftschrank der Bibliothek einschließen.«
Noch schlimmer, sie würde Amma anrufen und dann müsste ich die Schwestern jeden Tag in Tante Grace’ uraltem Cadillac zur Kirche kutschieren.
Spring oder bleib im Boot!
Im Grunde genommen hatte ich keine Entscheidungsfreiheit mehr. Ich hatte meine Wahl schon vor langer Zeit getroffen, damals als ich im strömenden Regen auf der Route 9 aus meinem Auto gestiegen war. Damals war ich gesprungen. Ich saß schon längst nicht mehr im Boot, egal ob Lena und ich nun zusammen waren oder nicht. Ich durfte mich weder von John Breed noch von Sarafine, weder von einem verschwundenen Stern noch von einem falschen Mond oder einem durchgeknallten Caster-Himmel aufhalten lassen. Das war ich dem Mädchen von Route 9 schuldig.
»Liv, ich werde Lena finden. Ich weiß nicht, wie, aber ich werde sie finden. Du kannst den Mond mit deinem Selenometer orten, richtig?«
»Ich kann die Schwankungen der Mondanziehungskraft messen, wenn du das meinst.«
»Kannst du auch den Mond der Berufung ausfindig machen?«
»Wenn meine Berechnungen stimmen, wenn das Wetter so bleibt, wie es ist, wenn die bekannten Wechselbeziehungen zwischen den Sternbildern der Caster und der Sterblichen beständig sind …«
»Ich wollte eigentlich ein Ja oder ein Nein hören.«
Liv zupfte an einem ihrer Zöpfe und dachte nach. »Ja.«
»Wenn wir das wirklich durchziehen wollen, dann müssen wir los, bevor Amma und Marian aufstehen.«
Liv zögerte. Als zukünftige Hüterin durfte sie sich eigentlich nicht einmischen. Und jetzt brachte ich sie schon wieder dazu, mit diesem Grundsatz in Konflikt zu geraten. »Vielleicht schwebt Lena in großer Gefahr.«
»Liv, wenn du nicht mitkommen möchtest …«
»Natürlich möchte ich mitkommen. Ich habe mich schon mit fünf Jahren mit den Sternen und der Welt der Caster beschäftigt und mir nichts sehnlicher gewünscht, als Teil dieser Welt zu sein. Bis vor ein paar Wochen habe ich nur darüber gelesen und diese Welt durch mein Fernrohr betrachtet. Ich
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