Eine Unheilvolle Liebe
begann.
Link ging zu ihr und streckte die Hand aus, um ihr hochzuhelfen. »Nein, das stimmt nicht. Du bist immer noch ein ziemlich schlimmes Mädchen. Ich meine, du bist echt heiß. Jedenfalls für eine Sterbliche.«
Ridley sprang auf. »Du glaubst wohl, das ist lustig?«, schrie sie. »Du glaubst, wenn ich meine Kräfte verliere, dann ist das so, wie wenn du eines deiner dämlichen Basketballspiele verlierst? Meine Kräfte sind für mich alles, du Idiot! Ohne sie bin ich ein Nichts.« Ihre schwarze Wimperntusche war verschmiert und sie zitterte am ganzen Körper.
Link schraubte die Wasserflasche auf, hob den Lolli auf und wusch ihn ab. »Wart’s ab, Rid. Du wirst einen ganz neuen Zauber entwickeln. Du wirst schon sehen.« Er gab ihr den Lolli zurück.
Ridley sah ihn ausdruckslos an. Dann warf sie den Lolli so weit weg, wie sie nur konnte.
Das Bindeglied
20.6.
Ich hatte kaum ein Auge zugetan. Links Arm war angeschwollen und dunkelrot, sein Bein schmerzte. Keiner von uns war in der Verfassung, über schlammige Waldwege zu laufen, aber uns blieb nichts anderes übrig.
»Wie sieht es aus bei euch? Wir müssen aufbrechen.«
Stöhnend tastete Link seinen Arm ab. »Ich hab mich schon mal besser gefühlt. Eigentlich hab ich mich noch nie im Leben so schlecht gefühlt.«
Die Schramme auf Livs Stirn heilte bereits ab. »Ich habe mich schon mal schlechter gefühlt, aber das ist eine lange Geschichte, in der das Wembley-Stadion, eine entsetzliche U-Bahn-Fahrt und viel zu viele Döner eine Rolle spielen.«
Ich nahm meinen völlig verdreckten Rucksack. »Wo ist Lucille?«
Link schaute sich um. »Keine Ahnung. Die Katze haut doch dauernd ab. Jetzt verstehe ich auch, warum deine Tanten sie an der Leine gehalten haben.«
Ich pfiff in den Wald hinein, aber von Lucille war weit und breit nichts zu sehen. »Lucille! Als wir aufgestanden sind, war sie noch hier.«
»Mach dir keine Sorgen, Mann. Sie findet uns schon. Katzen haben einen sechsten Sinn.«
»Ich schätze, sie hatte die Nase voll davon, uns hinterherzulaufen, während wir ziellos durch die Gegend stolpern«, sagte Ridley. »Diese Katze ist schlauer als wir alle zusammen.«
Die weitere Unterhaltung kriegte ich nicht mehr mit, denn ich war zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt. Ich musste immerzu an Lena denken und an das, was sie für mich getan hatte. Wieso hatte ich so lange gebraucht, das Naheliegende zu begreifen?
Lena hatte sich die ganze Zeit über selbst bestraft. Die auferlegte Zurückgezogenheit, die todessehnsüchtigen Bilder von Grabsteinen in ihrem Zimmer, die Dunklen Zeichen in ihrem Notizbuch und auf ihrem Körper, auch dass sie die Kleidung ihres toten Onkels trug und ihre Zeit mit Ridley und John verbrachte – das alles hatte nichts mit mir zu tun gehabt. Sie hatte es wegen Macon getan.
Allerdings war mir bisher nicht klar gewesen, dass ich eine Art Komplize war. Ich hatte sie ständig an das Verbrechen erinnert, dessen sie sich beschuldigte, immer und immer wieder. Ich hatte sie ständig daran erinnert, was sie verloren hatte.
Sie hatte mich jeden Tag gesehen, meine Hand gehalten, mich geküsst. Kein Wunder, dass sie so leidenschaftlich und so abweisend zugleich gewesen war, kein Wunder, dass sie mich im einen Moment küsste und schon im nächsten vor mir floh. Mir fiel der Liedtext ein, den sie über ihre Wände gekritzelt hatte.
Running to stand still.
Lena konnte nicht davonlaufen und ich hätte es nie zugelassen. In meinem letzten Traum hatte ich ihr gesagt, dass ich von ihrem Handel mit dem Buch der Monde wüsste. Ich fragte mich, ob sie diesen Traum auch geträumt hatte – ob sie wusste, dass ich die geheime Bürde, die sie trug, kannte. Dass sie diese Bürde nicht mehr allein tragen musste .
Es tut mir so leid, L.
In den Tiefen meines Bewusstseins lauschte ich auf ihre Stimme, auf den leisesten Hinweis, dass sie mich gehört hatte. Auf eine Antwort wartete ich vergebens, aber ich sah etwas in den Augenwinkeln. Bilderfetzen flogen an mir vorbei, so schnell wie Autos auf der Überholspur der Interstate …
Ich rannte, sprang, lief so schnell, dass alles vor mir verschwamm, bis sich meine Augen daran gewöhnt hatten und ich die Umrisse von Bäumen, Blättern und Ästen erkennen konnte. Zuerst hörte ich nur die Blätter, die unter meinen Füßen raschelten, und den Wind, der mir beim Laufen um die Ohren pfiff. Dann Stimmen.
»Wir müssen umkehren.« Es war Lena. Ich pirschte mich zwischen die Bäume, wo die Stimme
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