Eine Unheilvolle Liebe
Tischkante fest, um nicht umzufallen. Wer wollte, dass ich diese Visionen sah? Und vor allem, warum?
Marian hielt das Buch in der Hand und sah mich aufmerksam an.
»Und da war noch ein anderer. Sein Name fing mit J an. Judas? Joseph? Jonah. Ja, so hieß er. Ich glaube, sie waren Brüder. Sie waren Inkubi.«
»Mehr als das.« Marian klappte das Buch zu. »Abraham Ravenwood war ein mächtiger Blut-Inkubus, der Stammvater aller Blut-Inkubi aus der Familie der Ravenwoods.«
»Was meinst du damit?« Waren also die Geschichten, die sich die Leute hier erzählten, wahr? Und wieder hatte sich der Nebel auf der Landkarte des übernatürlichen Gatlin ein wenig gelichtet.
»Obwohl alle Inkubi von Natur aus Dunkel sind, ernähren sich nicht alle von Blut. Aber wenn einer damit beginnt, dann scheint sich dieser Trieb zu vererben.«
Ich lehnte mich gegen den Tisch, als mir das, was ich soeben gesehen hatte, noch einmal deutlich vor Augen trat. »Abraham ist der Grund dafür, weshalb Ravenwood Manor nicht abgebrannt ist, stimmt’s? Er hat keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen, sondern mit dem Buch der Monde .«
»Abraham war gefährlich, vielleicht gefährlicher, als es je ein Caster war. Ich weiß nicht, warum du ihn gerade jetzt siehst. Zum Glück ist er jung gestorben. Macon war damals noch gar nicht auf der Welt.«
Ich versuchte mich im Kopfrechnen. »Das nennst du jung? Wie alt werden Inkubi denn normalerweise?«
»Hundertfünfzig, zweihundert Jahre.« Sie legte das Buch auf ihren Schreibtisch. »Ich weiß nicht, was das alles mit dir oder mit Macons Tagebuch zu tun hat, aber ich hätte dir seine Aufzeichnungen niemals geben sollen. Ich habe mich eingemischt. Wir sperren das Buch besser weg.«
»Tante Marian …«
»Ethan! Lass das alles auf sich beruhen und sprich mit niemandem darüber, nicht einmal mit Amma. Nicht auszudenken, was sie tun würde, wenn man Abraham Ravenwood in ihrem Beisein erwähnt.« Sie legte ihren Arm um mich und drückte mich kurz an sich. »Jetzt gehen wir aber und räumen die Bücherstapel auf, ehe Olivia die Polizei ruft.« Sie wandte sich zur Tür und drehte den Knauf.
Aber da war noch etwas. Ich musste es ihr sagen. »Er konnte mich sehen, Tante Marian. Abraham hat mir in die Augen geblickt und meinen Namen gesagt. Das ist vorher noch nie passiert.«
Marian blieb stehen und starrte auf die Tür, als könnte sie hindurchsehen. Es dauerte verdächtig lange, ehe sie den Knauf ganz herumdrehte und die Tür aufstieß. »Olivia? Meinst du, Melvil Dewey gibt dir frei für eine Tasse Tee?«
Unsere Unterhaltung war beendet. Marian war eine Hüterin und die Leitende Bibliothekarin der Caster-Bibliothek . Sie durfte mir nicht mehr sagen, wollte sie ihre Pflichten nicht verletzen. Sie durfte nicht Partei ergreifen oder den Lauf der Dinge verändern, sobald sie einmal in Gang gekommen waren. Sie konnte mir Macon nicht ersetzen und sie war auch nicht meine Mutter. Ich war auf mich allein gestellt.
Unter dem Papier
14.6.
»Das alles?« Auf dem Tisch mit den auszuliefernden Büchern lagen drei in braunes Papier eingeschlagene Pakete. Marian drückte gerade dem letzten den STADTBIBLIOTHEK-GATLIN -Stempel auf, der auf keinen Fall fehlen durfte. Zweimal wurde jedes Paket gestempelt und stets mit einer weißen Schnur verschnürt.
»Nein, diesen Stapel dort auch noch.« Sie zeigte auf einen zweiten Stapel, der neben dem Tisch auf einem Rollwagen lag.
»Ich dachte, niemand in dieser Stadt liest.«
»Oh doch. Die Leute lesen schon, sie wollen nur nicht, dass andere wissen, was sie lesen. Deshalb tauschen wir unsere Bücher nicht nur mit anderen Bibliotheken aus, sondern liefern auch ins Haus. Nur Bücher aus dem Freihandbestand. Mit zwei, drei Tagen Bearbeitungszeit natürlich.«
Großartig. Ich getraute mich nicht zu fragen, was in den braunen Bücherpaketen war, und ich wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Ich hob eines der Pakete auf und stöhnte. »Was ist da drin? Lexika?«
Liv nahm den dazugehörigen Bestellschein in die Hand. »Ja. Das Große Lexikon der Munition , um genau zu sein.«
Marian scheuchte uns mit einer Handbewegung zur Tür hinaus. »Du gehst mit, Liv. Du hattest ja noch gar keine Gelegenheit, unsere nette kleine Stadt anzuschauen.«
»Damit kann ich leben.« Liv seufzte und zog den Rollwagen zur Tür. »Komm schon, Herkules. Ich helfe dir beim Aufladen. Wir können doch die Damen von Gatlin nicht auf …«, sie warf einen Blick auf einen Leihschein, »… Caroliner
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