Eine Unheilvolle Liebe
Lena dachte, sprach Link immer noch von John.
»Und was sollte dieser ganze Mist vom Besten aus beiden Welten? Welche Welten denn? Die miese und die noch miesere?«
»Keine Ahnung. Ich hielt ihn jedenfalls für einen Inkubus.«
Link bewegte vorsichtig seine Schulter und testete, wie weh es tat. »Egal was dieser Kerl ist, er hat echte Superkräfte. Ich frage mich, was er sonst noch draufhat.«
Wir waren am Ausgang angelangt und ich blieb stehen. Das Beste aus beiden Welten. Womöglich konnte John weitaus mehr, als sich wie ein Inkubus in Luft aufzulösen und uns beide zu Brei zu schlagen. Seine Augen waren grün. Vielleicht war er ein Caster und hatte die Kraft der Überredung, so wie Ridley? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ridley allein Lena so stark beeinflussen konnte, aber was, wenn John ihr dabei half?
Das würde erklären, weshalb sie sich so merkwürdig benahm und weshalb sie mich angesehen hatte, als wäre sie am liebsten bei mir geblieben – bis John ihr etwas ins Ohr flüsterte. Die Frage war, wie lange er das schon machte.
Link versetzte mir einen Schlag gegen den Arm. »Hey, weißt du, was komisch ist?«
»Was denn?«
»Sie sind nicht rausgekommen.«
»Wer?«
Er deutete auf den Ausgang. »Sie sind immer noch drin.«
Link hatte recht. Sie mussten noch im Tunnel sein. Wir sahen zu, wie eine Gondel nach der anderen leer herauskam.
»Was zum Teufel treiben die drei da drin?«
Link schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Vielleicht machen sie zu dritt irgendeine Schweinerei.« Allein die Vorstellung war für uns beide wie ein Schlag in die Magengrube. »Wir finden es raus. Es ist niemand in der Nähe«, sagte Link und war schon auf halbem Weg zurück.
Die Wagen kamen tatsächlich alle leer aus dem Tunnel, also waren Lena und die beiden anderen noch drin. Link sprang über die Absperrung und ging gebückt hinein. Rechts und links von den Schienen war wenig Platz, es war gar nicht so leicht, an den fahrenden Wagen vorbeizulaufen, ohne von ihnen erfasst zu werden. Eine der Gondeln schrammte Links Schienbein. »Hier drin ist niemand. Aber sie können sich doch nicht einfach in Luft auflösen, oder?«
Ich dachte daran, wie John Breed von Macons Beerdigung verschwunden war. Schon möglich, dass er raumwandeln konnte, Lena und Ridley konnten es nicht.
Link tastete die Wände ab. »Glaubst du, dass es hier so was wie geheime Caster-Tore gibt?«
Die einzigen Caster-Tore, die ich kannte, führten zu dem Labyrinth, das, unbemerkt von den meisten Bewohnern Gatlins, unterirdisch die Stadt und auch den Rest der Menschenwelt durchzog. Es war ein eigenes Universum und so ganz anders als die Welt der Sterblichen. Sogar Zeit und Raum hatten dort eine andere Bedeutung. Soweit ich wusste, befanden sich sämtlich Zugänge zu diesen Gängen innerhalb von Gebäuden – in Ravenwood, in der Bibliothek Lunae Libri, in der Krypta von Greenbrier. Aber eine aus bunt bemalten Sperrholzplatten zurechtgezimmerte Gondelbahn war kein Gebäude. »Ein Tor in einer Jahrmarktbahn? Das Ding steht mitten auf freiem Feld. Außerdem wurde es erst vor ein paar Tagen aufgebaut.«
Link stieg vorsichtig wieder aus dem Tunnel heraus. »Wo sollen sie denn sonst sein?«
Ich musste mir Klarheit darüber verschaffen, ob John und Ridley tatsächlich ihre Kräfte dazu benutzten, Lena ihren Willen aufzuzwingen. Es würde zwar nicht alles erklären, was in den letzten Monaten geschehen war, auch nicht, warum Lena jetzt goldene Augen hatte, aber vielleicht würde ich dann wissen, was zwischen ihr und John war. »Das werde ich jetzt herausfinden.«
Link hatte schon die Autoschlüssel aus der hinteren Hosentasche geholt. »Wieso habe ich geahnt, dass du genau das sagen würdest?«
Wir machten uns auf den Weg zum Parkplatz. Der Kies knirschte unter Links Turnschuhen, während er neben mir hertrabte. Er riss die verrostete Tür seiner Schrottkiste auf und rutschte hinters Lenkrad. »Wohin fahren wir? Oder sollte ich besser nicht …« Ich verstand den Rest des Satzes nicht mehr, denn plötzlich hörte ich drei kaum vernehmbare Worte.
Worte, die Stücke aus meinem Herzen rissen.
Auf Wiedersehen, Ethan.
Dann waren sie fort, die Stimme und auch das Mädchen. Verschwunden wie eine zerplatzte Seifenblase oder eine aufgeschleckte Zuckerwatte. Zerronnen wie der letzte schimmernde Hauch eines Traums.
Untrüglich
15.6.
Mit laut quietschenden Reifen hielt die alte Karre vor dem Haus der Historischen Gesellschaft; die Vorderreifen standen zur
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