Eine unmoralische Affäre
hatte. Im nächsten Atemzug wiederum beschimpfte sie Jason, Peters jüngeren Bruder, dass er der Beerdigung ferngeblieben war.
»Es war blamabel, dass er nicht an der Hochzeit teilnahm. Aber das hier ist der Gipfel! Es ist beschämend für das Ansehen der Familie, dass er nicht zum Begräbnis seines Bruders kommt. Afrika! Mein Gott, er ist so barbarisch wie die Wilden, die da leben. Erst waren es die Indios. Jetzt sind es irgendwelche Negerstämme in Afrika!« An diesem Punkt brach sie in hysterisches Schluchzen aus.
Katherine wusste sehr wenig über Jason Manning. Peter hatte ihn selten erwähnt, anscheinend war er ihm völlig gleichgültig. Mary dagegen hatte sich gefreut, als Jason ihr nach der Hochzeit geschrieben hatte.
Mit einem strahlenden Lächeln hatte sie Katherine den Brief hingehalten. Es brauchte nie viel, um Mary glücklich zu machen.
»Peters Bruder hat mir aus Afrika geschrieben. Weißt du, er arbeitet dort bei einer Ölfirma oder so. Ist ja auch egal, jedenfalls entschuldigt er sich, dass er bei unserer Hochzeit unmöglich weg konnte, und er gratuliert mir zu dem Baby. Hör mal.« Sie konzentrierte sich auf den weißen Bogen mit der großen, kraftvollen Schrift.
»›Ich freue mich schon auf meine Rückkehr nach Hause, schließlich möchte ich meine junge Schwägerin auch persönlich beglückwünschen. Wenn du so hübsch bist wie auf den Fotos, die Mutter mir geschickt hat, dann könnte ich mich im Nachhinein noch ohrfeigen, dass ich dich nicht eher kennen gelernt hab. Peter hat verdammt großes Glück gehabt!‹ Natürlich zieht er mich bloß auf«, sagte Mary errötend. »Aber klingt er nicht total nett? Warte mal, hier: ›Pass auf dich auf und auf die kleine Nichte oder den Neffen. Find ich spitzenmäßig, das mit dem Baby. Wow, ich werde Onkel! Onkel Jace!‹«
Katherine nickte bekräftigend, wenn auch aus reiner Sympathie. Sie war entsetzt, wie dünn Mary geworden war, trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft. An dem betreffenden Tag hatte sie sich ernsthafte Sorgen um die Gesundheit ihrer Schwester gemacht, die ihr kreuzunglücklich vorkam. Was interessierte da der abtrünnige Bruder und Schwager? In ihrem Kopf hatte sich ohnehin
ein Bild von den Mannings festgesetzt, und zwar nicht gerade ein positives, aber das behielt sie besser für sich.
Die ersten Wochen nach dem Begräbnis waren schwer für Katherine. Jeder Tag wurde zur dumpfen, zermürbenden, erschöpfenden Routine. Sie arbeitete seit fünf Jahren in der Public-Relations-Abteilung eines Elektrokonzerns, schrieb Presseartikel und Analyseberichte. War es wirklich schon so lange her, dass sie ihren Collegeabschluss gemacht hatte? Machte sie diesen öden, langweiligen Kram tatsächlich schon so lange? Sie bekam zwar ein gutes Gehalt, betrachtete den Job jedoch lediglich als Sprungbrett für ihre weitere Karriere. Sie war eine begabte Texterin und hätte ihre Kreativität gern mehr gefordert. Mit der neuen Verantwortung, die mit dem Baby auf sie zukam, war sie vermutlich gezwungen, sich einen besser bezahlten Job zu suchen.
Allison! Katherine war hellauf entzückt von ihrer Nichte. Jeden Abend fuhr sie zum Krankenhaus und betrachtete das Baby durch die Glastrennwand der Frühgeborenenstation. Allison entwickelte sich prächtig, und Katherine konnte es kaum erwarten, die Kleine endlich in den Armen zu halten. Dafür musste Allison mindestens fünf Pfund auf die Waage bringen. In ein paar Tagen, erklärte der Kinderarzt der besorgten Tante, könne sie Allison bestimmt aus dem Krankenhaus holen.
Katherine nahm sich zwei Wochen Urlaub für diese Zeit, weil sie sich ausschließlich um das Baby kümmern wollte. Zudem begann sie mit der Suche nach einer Ganztagsbetreuung für die Kleine. Bevor sie Allison einem Fremden anvertraute, wollte sie auf Nummer sicher gehen, dass ihr die Einrichtung hundertprozentig zusagte.
Dass sie gar nicht das Sorgerecht hatte, ließ sie völlig außer Betracht.
Folglich fiel sie aus allen Wolken, als der Anwalt der Mannings unangekündigt in ihrem Büro erschien. Er knallte ihr einen Stapel wichtig aussehender Dokumente auf den Schreibtisch und erklärte ihr von oben herab, dass seine Mandanten »… beabsichtigen, das alleinige Sorgerecht für das Kind auszuüben«.
»Meine Mandanten sind entschlossen, das Kind bei sich aufzunehmen und zu adoptieren. Selbstverständlich werden Sie für den zeitlichen und organisatorischen Aufwand, den Sie in den letzten Wochen hatten, als das Kind im Krankenhaus
Weitere Kostenlose Bücher