Eine unzüchtige Lady
den abgenutzten, angeschlagenen Tisch hinweg blickte sie ihn an. Wenn er die personifizierte Sünde war, dann aber eine von der köstlichsten Sorte. Irgendwie gelang es ihm in dieser geschmacklosen Umgebung, seine kraftvolle Erscheinung noch glänzender zur Schau zu stellen. Die rissigen Dielenbretter, fleckigen Wände
und der Stuhl, der kaum seiner beeindruckenden Größe angemessen war, betonten nur sein männliches und aristokratisches Erscheinungsbild.
»Ein Liebhaber«, korrigierte sie ihn. »Keine Mehrzahl.« Und was in ihrem Ehebett passiert war, hatte wohl kaum etwas mit Liebe zu tun, daher war sie nicht sicher, ob dieser Begriff hier angebracht war. Sein Mitleid interessierte sie nicht. Es ging ihr um seine Mithilfe.
»Nur ein Mann? Ich verstehe.«
Nur einer. Sicher war dieser Gedanke einem Mann wie dem verwegenen Duke fremd, der aus seiner verdorbenen Vergangenheit unzählige Geliebte aufzuzählen verstand.
Er sprach weiter und unterstrich seine Worte mit demselben geübten Lächeln, das auf sie eine so verheerende Wirkung hatte. »Beurteilt uns nicht allzu harsch allein aufgrund der Fehler eines einzigen Exemplars unseres Geschlechts.«
»Sollte ich nicht?« Es wäre schön, wenn sie ihren Worten etwas Spielerisches verleihen könnte, aber sie fürchtete, es gelang ihr nicht.
»Natürlich nicht.« Sein Blick glitt erneut zu den Wölbungen ihres blassen Fleisches über ihrem Mieder. »Wie jede Frau einzigartig ist, glaube ich, dass auch Männer verschieden sind. Ich denke aber, Männer sind in der Regel selbstsüchtiger. Ich bedaure Eure vorangegangene Erfahrung. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass wir nicht alle gleich sind.«
Sie spürte die verlockende Hitze, die bei seiner ausgiebigen Musterung in ihr aufstieg. Als würde er mit dem Finger über ihre Haut fahren.
Andererseits: Sein Charisma stand außer Frage. Sie passten kaum zusammen, aber das brauchte er nicht wissen. Kühl und unbewegt bemerkte sie: »Vielleicht bekommt Ihr die Gelegenheit, Euren Standpunkt zu beweisen, Euer Gnaden.«
»Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ich nichts dagegen haben werde, meine geheimnisvolle Lady.«
Es war unmöglich, vom Wein zu trinken, ohne den Schleier zu heben, daher fingerte sie unsicher am Stiel ihres Glases herum und beobachtete den Mann auf der anderen Seite des Tisches mit nachdenklichem Argwohn.
»Entschuldigt, ich habe mich ein wenig verspätet.« Lord Mandervilles Ankunft bewahrte sie davor, mehr sagen zu müssen. Sie wollte nicht zu viele Hinweise auf ihre Identität geben, ehe nicht beide Männer ihr Wort als Gentlemen gegeben hatten, strikte Diskretion zu wahren.
Der Earl betrat den Raum und musterte sie ebenso abschätzend wie schon sein Freund zuvor. Sein Blick glitt über sie hinweg, hielt kurz am Ausschnitt ihres modischen Kleids inne und verharrte schließlich über dem Stoff, der ihr Gesicht verhüllte. Ein schelmisches Lächeln zeigte seine weißen, geraden Zähne. »Ich sehe, wir schmieden hier also wirklich Ränke. Es ist mir ein Vergnügen, Euch kennenzulernen.«
»Ihr kennt mich bereits«, erwiderte Caroline so ruhig wie möglich. Es war ein wenig beunruhigend, mit beiden Männern allein in einem Raum zu sein, stellte sie fest. Zum einen waren beide sehr hochgewachsen, und sie umgab diese eindrucksvolle Atmosphäre männlichen Selbstbewusstseins, das den kleinen Raum vollständig zu erfüllen schien. Derek Drakes golden schimmerndes Aussehen hatte ihm den Beinamen »der Engel« eingebracht. Rothay war im Gegensatz dazu ironischerweise auf den Namen »der teuflische Duke« getauft worden.
Sie gaben ein starkes - wenn auch ungleiches - Paar ab, der Engel und der Teufel. Sie spürte, wie sich ihr Magen vor Anspannung zusammenzog.
Das konnte nicht gut gehen. Hier saß sie und machte den beiden ein unzüchtiges Angebot. Frauen, die in Gasthäuser zweifelhaften
Rufs fuhren und dort Wüstlinge vom Kaliber dieser beiden Männer trafen, die sich mit ihr in diesem Raum aufhielten, sollten besser keine Nervenkrise bekommen.
Ihr Rücken straffte sich, als ihre Entschlusskraft wieder die Oberhand gewann.
»Bin ich Euch tatsächlich schon einmal begegnet?« Manderville nahm ein Glas Wein vom Duke entgegen und nickte dankend. Noch immer ruhte sein Blick auf ihrem verschleierten Gesicht. Er setzte sich in einen klapprigen Stuhl, der protestierend quietschte.
»Ihr seid mir beide schon begegnet.«
»Ach, und ich dachte noch, dass mir Eure Stimme so kultiviert und vielleicht
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