Eine unzüchtige Lady
es recht gut.«
»Ihr sagtet mir vorher, Ihr würdet keine Mutmaßungen anstellen.«
Das Temperament, das in ihrer Stimme mitschwang, ließ ihn grinsen. »Ihr könnt nicht beides haben. Entweder ich verstehe die Frauen und Ihr habt deshalb überhaupt erst erwogen, das hier mit mir zu tun. Oder ich habe absolut keine Ahnung. Was ist also richtig?«
»Ihr kennt mich nicht.« Unbeschreibliche Augen schimmerten silbergrau, aber es fiel ihr schwer, die hochmütige, distanzierte Lady Wynn abzulegen, während sie in köstlicher Nacktheit direkt neben ihm lag.
Seine Erektion pochte geradezu schmerzhaft. Himmel, Zurückhaltung hatte ihren Preis. Wenn es schließlich passierte, war es seine Geduld hoffentlich wert.
Und vielleicht war er ein bisschen eingebildet, ja.
Er umfasste ihre schmalen Schultern und zog sie näher, um ihr einen zärtlichen Kuss zu geben. Als sie sich an ihn schmiegte, spürte er Triumph in sich aufflammen. Er legte seinen Mund an ihr Ohr und versprach ihr mit heiserer Stimme: »Also gut. Ich gestehe, dass ich Euch nicht so gut kenne, wie ich gern würde. Wir haben die ganze Woche Zeit und gerade erst begonnen, uns kennenzulernen. Macht Euch das nicht neugierig?«
Ihr Seufzen strich zart über seinen Hals. »Doch.«
Kapitel 10
Der Klang einer dunklen Stimme ließ sie mitten im Schritt verharren.
Der Schreck drang ihr in jede Pore, erfasste jedes Nervenende vom Scheitel bis zu ihren Zehenspitzen. Annabel stand stocksteif vor der Tür zu dem gemütlichen Salon und atmete tief durch.
Niemand hatte sie darüber informiert, dass Derek zum Tee da sein würde.
Er kam nie zum Tee. Niemals.
Herr im Himmel, war es nicht schon schlimm genug, ihm am Vorabend begegnet zu sein? Ihr Gesicht schmerzte jetzt noch, weil es sie so viel Kraft gekostet hatte, während der kleinen, von Margaret ausgerichteten Feier permanent zu lächeln. Die Feierlichkeit war eine aufmerksame Geste, und sie wusste, dass sowohl Thomas als auch Margaret sie nur in ihrem Entschluss, Alfred zu heiraten, bestärken wollten. Die ganze Drake-Familie hatte sie stets als eine der Ihren behandelt, und sie hatten sich alle sehr begeistert über die bevorstehende Hochzeit gezeigt. Aber unglücklicherweise wurde auch erwartet, dass Derek zu jeder Gelegenheit eingeladen wurde. Gewöhnlich sagte er die alltäglichen Feierlichkeiten ab. Nicht so am Vorabend, als er unerwartet auftauchte. Er sah so sündhaft gut aus, zugleich aber schien er sich zu Tode zu langweilen. Kurz nach dem Dinner ergriff er die Flucht. Sie hatte es geschafft, während ihres kurzen Austauschs von Nettigkeiten höflich zu bleiben. Aber musste sie das deshalb so rasch erneut durchmachen?
»Hast du etwas vergessen, mein Kind?«
Sie wirbelte beim Klang der Stimme ihres Vormunds herum. Thomas lächelte sie an. Feine Fältchen zierten sein gutmütiges
Gesicht. »Es scheint, wir sind beide etwas spät, nicht wahr?«, sagte er. »Ich fühle mich ganz ausgedörrt, und Teegebäck wäre jetzt genau das Richtige für mich. Wollen wir nicht hineingehen?«
Welche Wahl hatte sie schon? Sie hätte hinauf in ihr Zimmer laufen und Kopfschmerzen vortäuschen können, statt ängstlich zitternd vor der Tür zu verharren. Sie hätte ihre Zofe mit der Nachricht geschickt, nein, sie könne nicht zum Tee herunterkommen, da sie unpässlich sei. Sie hätte einfach schneller nachdenken sollen. »Ja«, log sie leise mit starrem Gesicht. Ihr Magen verkrampfte sich. »Das klingt verlockend.«
Sie betraten gemeinsam den Salon, und obwohl sie wünschte, sie müsste nicht die Anwesenheit des Earl of Manderville zur Kenntnis nehmen, als er sofort eilfertig aufsprang, biss sie die Zähne zusammen und brachte ein knappes Nicken zustande. Es kam ihr alles so bekannt vor - die Ansammlung blauer, mit Brokat bezogener Stühle, das alte Pianoforte in der Ecke, der Orientteppich mit dem indigoblauen und cremefarbenen Muster, sogar der Teewagen, der neben dem polierten, antiken Tisch stand - aber zugleich sah alles so anders aus, wenn er da war.
So war es immer. Wenn er im Raum war, bemerkte sie nichts um sich herum, und sie spürte heftigen Ärger in sich aufsteigen, weil er sie schon wieder heimsuchte.
Margaret lächelte heiter. Sie war mollig, hübsch und hielt ihre Tasse damenhaft in der Hand. »Derek kam gerade im rechten Moment vorbei. Ich habe darauf bestanden, dass er zum Tee bleibt.«
Annabel sagte nichts. Sie mied den Blick ihrer Ziehmutter, denn sie wusste, es gab kaum eine Möglichkeit, Thomas und
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