Eine unzüchtige Lady
Besonders dann nicht, wenn er wusste, dass sie ebenfalls zugegen sein würde.
»Danke.« Endlich nahm er eine Süßigkeit vom Tablett und legte sie auf seinen Teller. Seine Bewegungen waren auf eine sehr männliche Art elegant und anmutig. Wie alles an ihm. Sogar das irritierende Grinsen, das auf seinem Gesicht lag.
»Nichts zu danken«, brachte sie mühsam hervor. Das Kratzen in ihrer Stimme war ihr zuwider.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass ich noch mal Gelegenheit habe, dir zu deiner Verlobung zu gratulieren, Annie. Gestern Abend warst du sehr beschäftigt, und ich musste früh gehen.«
Lieber Himmel, nenn mich nicht Annie.
Er war der Einzige, der diesen Spitznamen benutzte. Das hatte er schon immer getan, seit sie ein Kind war. Aber jetzt war sie kein Kind mehr, sie war eine Frau. Der weiche, vertraute Klang dieses Worts brachte Erinnerungen zurück, die sie lieber verdrängen wollte.
Sie versteifte sich, doch ihr gelang ein knappes Nicken. »Ich werde Alfred ausrichten, dass du uns deine guten Wünsche übermittelt hast.«
»Er ist ein recht angenehmer Zeitgenosse.«
Sie verspürte leise Irritation ob seines Tonfalls. Es klang, als ginge angenehm für ihn mit Langeweile und Trübsal einher.
Nein, Alfred war weder verwegen noch aufregend, aber er war beständig. »Er ist ein wahrer Gentleman«, verteidigte sie ihn.
Ihre Worte ließen darauf schließen, dass Derek dieser Kategorie nicht angehörte. Oder sie hoffte zumindest, es wurde ihm deutlich, denn genauso meinte sie es.
»Ich stimme Derek zu. Lord Hyatt ist wirklich liebenswürdig.« Thomas’ Miene blieb reglos. Er nippte an seinem Tee. »Ein netter Kerl. Zuverlässig.«
»Nicht schlecht für einen Ehemann«, stimmte Margaret zu.
»Oder ein Pferd.« Derek sank etwas tiefer in seinen Stuhl. Die kräftige Anmut seines großen Körpers stand im Kontrast zu den Pastelltönen, in denen der Raum gehalten war. Wenn ihre spitze Bemerkung ihn verletzte, zeigte er es nicht - wie immer.
»Ein Pferd?« Erbost über diesen Vergleich ihres zukünftigen Ehemanns mit einem Tier starrte Annabel ihn an.
Er erwiderte ihren Blick so unschuldig, wie es einem verdorbenen Wüstling nur möglich war. »Ja, wirklich. Stimmst du mir nicht zu? Welches Tier würdest du denn lieber reiten? Ein ruhiges, verlässliches Pferd, das dich ohne Zwischenfälle dorthin bringt, wo du hinwillst? Oder ein Tier, das feuriger ist?«
Sie war ihm vielleicht, was Erfahrung betraf, um Längen unterlegen, aber selbst sie konnte die sexuelle Anspielung seiner Worte nicht überhören. Um ihre Demütigung perfekt zu machen, errötete sie.
Nur Derek konnte so etwas sagen und damit ungeschoren davonkommen. Er war es gewohnt, sein Aussehen und sein sorgloses Verhalten als Entschuldigung für unzählige Sünden zu benutzen. Es funktionierte bei allen. Aber nicht bei ihr. Nicht mehr.
Das Problem war aber: Sie kannte ihn. Kannte seinen trockenen Witz, das neckende Glitzern in seinen Augen. In der Vergangenheit hätte sie vielleicht über seine Bemerkung gelacht.
Sie redeten hier jedoch über ihre Hochzeit mit einem anderen Mann, und dass er darüber scherzen konnte … nun, das schmerzte sie.
Nein, tut es nicht, wies sie sich in Gedanken zurecht und richtete sich auf. Derek hatte keine Macht mehr über sie. Er hatte darauf an jenem Tag verzichtet, als er sie erst geküsst und dann ihr Herz mit jenem leichtfertigen Betrug gebrochen hatte, der ihre Gefühle zutiefst verletzt hatte.
Annabel blickte ihm in die Augen. »Es spricht vieles für Verlässlichkeit.«
Sein Lächeln verschwand. Leise konterte er: »Sogar die wildeste Kreatur kann gezähmt werden, wenn der richtige Reiter im Sattel sitzt.«
»Nicht alle sind den Aufwand wert«, schoss sie zurück.
»Das kann man kaum sagen, solange man es nicht versucht hat.«
Margaret unterbrach den Wortwechsel mit einem lahmen Versuch, das Thema zu wechseln. »Ich finde, die Feier gestern war schön, denkt ihr nicht?«
Annabel nickte abwesend. »Es war hübsch.«
»Du warst sehr schön«, murmelte Derek, als würde er das Wetter kommentieren.
Nein, das hatte er nicht gerade gesagt. Das Kompliment wurde so ernsthaft, so sanft vorgetragen, dass es sie sprachlos machte. Er blickte sie auf diese ihm allein eigene Art an, und einen kurzen Moment lang vergaß sie die Anwesenheit von Thomas und Margaret.
Wie eine kleine, dumme Närrin.
Selbst wenn er es so meinte - was zählte es denn für sie? Warum kümmerte es sie, was ein so verruchter,
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