Eine unzüchtige Lady
unmoralischer Mann von ihr dachte? Warum hatte sie am Vorabend ihr Kleid mit so viel Sorgfalt gewählt, weil sie wusste, dass er dort sein würde?
Keine Minute länger konnte sie in seiner Nähe bleiben. Die Erkenntnis überflutete sie, Panik ließ ihre Kehle eng werden. Es war bestimmt besser für sie, wenn sie einander mieden, obwohl sie nicht sicher war, ob er sich darum tatsächlich bemühte. Ein armseliger Kuss würde einen Wüstling seines Rufs nicht besonders beeindrucken. Sie war es, die zu viel Wert darauf legte.
Aber trotzdem … dieser Kuss. Die leichte, aber feste Berührung seiner Lippen, als sie von ihren Besitz ergriffen, das Hervorschnellen seiner Zunge und das peinigende Gefühl, von seinen Armen dicht an seinen Körper gepresst zu werden. Sein Geruch, sein Geschmack, sein leises Seufzen in ihren Mund, so berauschend wie ein alkoholisches Getränk …
Nein. Sie hütete sich, zu sehr an den Erinnerungen zu rühren. Es war ärgerlich genug, weil diese immer noch in ihren Gedanken kreisten.
»Bitte entschuldigt mich.« Annabel stand auf und blickte zu der Uhr in der Zimmerecke. Sie sah die Metallzeiger in einem bestimmten Winkel auseinanderklaffen, konnte die Zeit jedoch nicht benennen. »Ich habe noch unzählige Briefe zu verfassen, fürchte ich. Außerdem habe ich leichte Kopfschmerzen. Ich denke, ich werde mich bis zum Dinner zurückziehen.«
Der Nachmittag war so warm, dass Caroline die Jacke ihres Reitkostüms abgelegt und über den Sattelknauf gelegt hatte, während ihre Pferde einen Pfad entlangtrotteten, der kaum als Weg bezeichnet werden konnte und am Ufer eines träge dahinfließenden Flusses entlangführte. Über ihren Köpfen strahlte der Himmel makellos im reinsten Blau, das von keiner einzigen Wolke getrübt wurde, und in der Luft hing der Duft sommerlicher Wiesen, wenn die zarte Brise ihr Gesicht streichelte.
Der idyllische Tag passte perfekt zu ihrer Laune.
Caroline war sich durchaus bewusst, dass sie mit voller Wucht
dem Charme des berüchtigten Duke of Rothay zu erliegen drohte. Und das Ganze tat sie mit voller Absicht wegen einer skandalösen Wette. Aber sie war mehr als gewillt, sich ganz dieser Fantasie hinzugeben.
Nach einer Nacht, in der sie in seinen Armen die Leidenschaft entdeckt und sich verloren hatte, schliefen sie aus, nahmen gemeinsam ein leichtes Frühstück ein und verbrachten den Rest des Tages mit ähnlich ungezwungener, entspannter Gesellschaft, bis sie am Spätnachmittag zum Ausritt aufbrachen.
Es war eine herrliche Abwechslung von ihrem gewöhnlichen Alltagsleben. Nicht ihre ganze Freude rührte von ihrer sexuellen Erweckung. Ein attraktiver Mann widmete ihr seine Aufmerksamkeit. Daran könnte sie sich durchaus gewöhnen, zumal sie sich in seiner Gegenwart überraschend wohl fühlte.Vielleicht war es auch nur die sexuelle Intimität. Aber vielleicht auch nicht.
Obwohl sie bisher noch nicht den tatsächlichen Akt des Geschlechtsverkehrs vollzogen hatten, war sie ob der Aussicht weniger besorgt und wurde neugierig. Bisher hatte er ihr seine volle Aufmerksamkeit gewidmet, und die üppige Lust, die ihr seine Berührungen bereiteten, war durchaus aufschlussreich. Aber bisher hatte er nichts für sich getan.
Natürlich. Das alles tat er, weil er die Wette gewinnen wollte.
Als wenn er ihre Gedanken lesen könnte, bemerkte Nicholas: »Ich sollte das hier häufiger tun.«
Sie blickte ihn an. Er trug auch kein Jackett, und das feine Leinen seines Hemds spannte sich über den breiten Schultern. Am Hals stand es offen und zeigte seine gebräunte Haut. Er saß entspannt und anmutig im Sattel. Bestimmt ritt er jeden Tag und hatte seine Pferde herschicken lassen, da er in Essex keinen Stall unterhielt. Sein Pferd war ein herrlicher Fuchs, der seinem Reiter in Kraft und Geschmeidigkeit in nichts nachstand. Ihre
grauscheckige Stute hingegen war eines der gesittetsten Pferde, das sie je geritten hatte.
»Was wollt Ihr häufiger tun?« Caroline hob eine Augenbraue. »Eine Fremde aufs Land entführen, um ihr die eine oder andere Lektion im Bett zu erteilen?«
Sein entspanntes Lachen erklang. »Also nein, das war nicht exakt das, was ich gedacht habe. Aber da Ihr es erwähnt, lief es doch bisher recht gut.«
Wenn sie an die Offenbarung der letzten Nacht dachte, konnte sie ihm kaum widersprechen. Jede Berührung, jeder Geschmack und jede Bewegung war eine einmalige Erfahrung und weckte in ihr das sündige Verlangen nach mehr. Er verdiente seinen zweifelhaften Ruf,
Weitere Kostenlose Bücher