Eine unzüchtige Lady
den Vorhang bewegte. Da
alles - besonders alles an ihm - so neu und herrlich war, fand sie es schwierig, zwischen Realität und Fantasie zu unterscheiden.
Er redete mit ihr. Das war noch unwiderstehlicher als seine unbestreitbare Fähigkeit, ihren Körper in Erregung zu versetzen. Hätte er einfach beim ersten Mal das getan, was sie von ihm erwartet hätte, und sie für die komplette Woche in sein Schlafzimmer gezogen, dann würde sie sich vielleicht nicht so unsicher fühlen. Stattdessen war er auf jede erdenkliche Weise aufmerksam, freundlich und rücksichtsvoll.
Sie hatte die schmerzende Angst, dass sie jetzt nicht mehr einfach fortgehen konnte.
Nicholas bewegte sich im Schlaf, zog sie im tiefen Schlummer näher an sich. Als hätte er das hier schon tausendmal mit anderen Geliebten getan.
Vermutlich hatte er das tatsächlich. Der Gedanke sollte sie nicht quälen.
Aber genau das tat er.
Kapitel 13
Annabel drehte sich gehorsam um. Der Stoff ihres aufwendigen Hochzeitskleids fiel in perfekten Falten um sie herum, mit zahlreichen Nadeln in Form gesteckt. Die Schneiderin kniete vor ihr auf dem Boden und arbeitete am Saum, während Margaret die Szene mit kritischem Blick beobachtete. Hin und wieder gab sie einen Kommentar von sich.
War es wohl offensichtlich, wie abgelenkt und desinteressiert sie dieser Angelegenheit begegnete, die ihr doch so viel bedeuten sollte, fragte Annabel sich.
Sie hoffte nicht. Aber sie fürchtete, dass die Wahrheit ihr ins Gesicht geschrieben stand.
Diese Angst wurde bestärkt, als sie eine Stunde später das Geschäft der Modistin verließen und sich auf den Heimweg machten. Margaret Drake war trotz ihres Alters noch immer hübsch. Ihr hellbraunes Haar ergraute auf geradezu reizende Weise. Feine Fältchen zeichneten ihre Gesichtszüge nach, ohne von der Schönheit ihres zarten Knochenbaus und ihren klaren, funkelnden Augen abzulenken. Sie setzte sich Annabel gegenüber in der Kutsche zurecht und kam sogleich zur Sache.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«
Ist denn irgendwas in Ordnung?
Annabel versuchte, ausdruckslos den Blick ihrer Ziehmutter zu erwidern. »Ich bin nicht sicher, was du meinst.«
»Du siehst müde aus, mein liebes Kind. Fast apathisch. Und du pickst nur an deinen Speisen. Gerade heute, an diesem besonderen Tag, an dem dir dein Hochzeitskleid angepasst wurde, hast du kaum ein Wort gesagt oder deine Meinung kundgetan, nicht einmal dann, wenn man dich direkt gefragt hat.«
Das stimmte alles. Und da Margaret ihr stets wie eine Mutter gewesen war, fiel es Annabel schwer, ihr nicht zu gestehen, was sie wirklich bedrückte. Aber sie konnte es nicht. Wenn sie es laut aussprach, müsste sie tatsächlich darüber nachdenken. Und das stand außer Frage. »Ich habe nicht gewusst, dass es so … aufwendig ist, eine Hochzeit zu planen«, erklärte sie. Aufrichtige Schuldgefühle erfassten sie. Es war nicht einmal eine Lüge - die Detailfragen der Hochzeit waren etwas überwältigend -, aber ebenso wenig war dies der Grund für ihre Gedankenverlorenheit.
Margaret neigte ihren Kopf und betrachtete sie nachdenklich mit leicht zusammengekniffenen Augen. »Lord Hyatt hat sich einverstanden erklärt, die Feierlichkeiten nach deinen Wünschen
auszurichten. Es muss keine so große Feier werden, wenn du es lieber etwas ruhiger hättest.«
Das war auch Teil ihres Problems. Alfred war ein sehr entgegenkommender, netter Mann.
Darin unterschied er sich von einem anderen, einem gewissen Earl, der oberflächlich betrachtet über ausgezeichnete Manieren und absoluten Charme verfügte, aber unter diesem angenehmen Äußeren selbstsüchtig und gefühllos war.
»Ich will aber eine große Feier.« Die Worte kamen zu knapp, und es kostete sie einige Mühe, ihrer Stimme einen etwas gemäßigteren Tonfall zu geben. »Was ich meine, ist doch, dass diese Hochzeit ein großer Schritt ist. Und ich will mein Glück mit all meinen Freunden und natürlich meiner Familie teilen.«
Margaret hab ihre Brauen. »Also gut. Aber du solltest doch mehr Begeisterung für die Details aufbringen. Und ja, das eigene Hochzeitskleid ist eines davon.«
Sie biss sich auf die Lippe und seufzte. »Es tut mir leid. Heute Nachmittag bin ich wirklich keine angenehme Gesellschaft.«
»Mein liebes Kind, ich möchte dich doch nicht schelten. Ich bin nur besorgt. Wenn du diese Verlobung bereust, ist jetzt der Zeitpunkt …«
»Nein«, unterbrach Annabel sie abrupt. »Ich bereue nichts.«
Was für eine schreckliche Lüge
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