Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
nach Luft, stieß sich mit den Füßen ab, rutschte auf dem Rücken im Schlamm weiter zurück und schlug, schlug auf den verbeulten Blechtopf.
Später lag er unter einem Baum mit dicken, fleischigen Blättern, atmete schwer, rollte im Mund noch den Geschmack der Verwesung herum und begriff nicht, daß er noch lebte.
Das Krokodil war längst verschwunden und sonnte sich auf irgendeiner der flachen Sandbänke im Fluß.
»Das war knapp«, sagte er erschöpft. »Verdammt, war das knapp. Aber ich bin an dem Fluß!«
Den ganzen Tag über schlug er sich am Ufer entlang, immer auf dem schmalen Streifen, den das Wasser jährlich ein paarmal aus dem üppigen Wachstum wegsägte. Er kletterte über umgerissene, faulende Bäume, durchbrach Wände aus Schlingpflanzen und watete manchmal bis zu den Knien durch das Wasser, den Blechtopf, seinen Lebensretter, in den Händen, um bei neuer Gefahr wieder mit dem Trommeln zu beginnen.
Und so entfernte er sich immer mehr von Gloria und glaubte dabei, ihr immer näher zu kommen.
Spät am Abend erreichte er die erwarteten neuen Katarakte, wo der Fluß schäumend und brüllend ein paar Meter tiefer in ein ausgefressenes Becken stürzte. Er blieb stehen, wischte sich den Schweiß aus den Augen und atmete tief auf.
In der Ferne, ein taumelnder Faden in der Luft, entdeckte er eine dünne Rauchsäule.
Wo Feuer ist, sind auch Menschen, dachte Hellmut Peters, es sei denn, es handelte sich um einen Waldbrand. Aber Brände dieser Art sind große Flächenbrände, die Flammen lodern haushoch, und der Himmel ist schwarz vor Qualm. Er hatte einmal in seinen zwei Jahren Brasilien einen solchen gewaltigen Brand erlebt, war mit einem Flugzeug über das Gebiet geflogen und hatte auf ein Feuer gestarrt, das größer war als in Deutschland ganze Provinzen.
Hier aber hing eine dünne Rauchsäule in der Luft; das war ein einzelnes Feuer, und Menschen lebten dort, Menschen, die ihm helfen konnten oder bei denen sogar Gloria zu finden war. Er nahm alle Kraft zusammen, lief am Ufer entlang durch den schwappenden Boden, sich immer wieder umsehend, ob nicht ein aufgescheuchtes Krokodil ihn verfolgte oder die giftigen Wasservipern pfeilschnell aus irgendeinem Versteck hervorschossen.
Nach drei Stunden erreichte er völlig ausgepumpt eine vom Fluß ausgewaschene Bucht. Hier gab es sogar so etwas wie einen Sandstrand, ein Stück freies Land und eine Art Landesteg, gezimmert aus rohen Rundhölzern.
Menschen! Tatsächlich Menschen! Aber was für Menschen? Waren es die gleichen, die Gloria mitgenommen hatten?
Peters ließ sich hinter einen Busch fallen, kroch dann langsam weiter und näherte sich der kleinen Bucht.
Das Feuer, dessen dünnen Rauch er gesehen hatte, flackerte einsam in einem Ring aus dicken Flußsteinen. Darüber hing an einer Eisenstange ein kupferner, total verdreckter, rußiger Kessel. Am Waldrand, im Schutze der breitkronigen Riesenbäume, stand eine primitive Hütte aus Ästen und miteinander verflochtenen Blättern. Statt einer Tür hing eine alte, graue Decke vor dem Eingang.
Hellmut Peters blieb liegen. Er hatte vor sich einen dicken, verfaulten Baumstamm, der ihn, wie er glaubte, am besten unsichtbar machte.
Die Hütte irritierte ihn. So leben keine unbekannten Indios, dachte er. Wer sich über die Urzeit nicht weiterentwickelt hat, besitzt keinen Kupferkessel und keine graue Militärdecke. Er baut auch nicht solche Unterkünfte und einen solchen Herd aus Steinen für sein Feuer. Andererseits aber hat dieses Gebiet noch nie ein Weißer betreten. Peters hatte die Landkarte des Piloten Dalques studiert und keinen Fluß eingezeichnet gefunden, wenn sie sich in dem Stück Urwald befanden, das Peters annahm.
Den Fluß, an dem er jetzt lag, gab es für die Welt noch gar nicht!
Er blieb in Deckung und wartete. Das Feuer brannte schnell herunter, das Wasser im Kessel dampfte. Der Mensch, der es aufgesetzt hatte, mußte jeden Augenblick zurückkommen.
Und er kam! Peters sah ihn zwar nicht, aber er hörte eine laute, tiefe Stimme aus dem dichten Unterholz über den stillen Platz brüllen. »Kommen Sie raus, Senhor!« schrie die Stimme auf portugiesisch. »Ich will Kaffee trinken, aber nicht das kostbare Wasser verdunsten lassen! Los! Stehen Sie auf, und dann die Klauen hoch! Verdammt, spielen Sie nicht Verstecken! Ich habe Sie längst gesehen! Sie liegen hinter dem Baumstamm! Kommen da herangelatscht wie ein Sonntagsbeter nach der Kirche! Los! Stehen Sie endlich auf, wenn Sie friedliche
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