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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich jetzt etwas.«
    »Du hilfst mir«, sagte Xinxaré wieder. Er bückte sich, wühlte in einem Berg von Blättern und zog dann die Hand zurück. Als er sie öffnete, lagen Diamanten und tiefblaue Saphire darin. Serra atmete röchelnd durch die Nase ein.
    »Junge«, sagte er rauh. »Dafür vergesse ich alle Moral! Was willst du von uns?«
    Xinxaré schloß die Hand, der herrliche Glanz erlosch.
    »Es ist Krieg zwischen uns und den Ximbús«, sagte er hart. »Hilf mir! Wir müssen die weiße Göttin haben –«

17
    Der alte Häuptling richtete sich auf und setzte sich neben dem ungeheuren Schatz auf einen Stein. Er machte eine Handbewegung, so, als schaufle er die glitzernde Pracht vom Boden und werfe sie Gloria in den Schoß.
    Es gehört dir, hieß das. Nimm es, Göttin. Du kommst aus der Sonne, diese Steine kommen von der Sonne. Ihr gehört zusammen.
    »Nein«, sagte Gloria und schüttelte den Kopf. »Nein! Ich brauche jetzt keinen Millionenschatz – ich brauche ein Floß. Und wenn Hellmut noch lebt, wird er irgendwo an diesem Fluß sein, und wir werden uns wiedersehen. Der Fluß ist die einzige Chance, aber wie sagt man dir das?«
    Sie machte eine Handbewegung, die bedeuten sollte: Laß den Schatz liegen. Sie ging den Weg zurück zum Dorf. Der alte Häuptling folgte ihr in ehrfürchtigem Abstand. Auf dem Totenplatz blieb Gloria stehen und blickte sich schaudernd um.
    Man hatte den hingerichteten Häuptling jetzt in die konservierenden Blätter eingewickelt und an einem der dicksten Bäume aufgestellt. Größer als alle anderen Toten, noch als Mumie der Schönste von allen, lehnte er an dem Baumstamm, und zwei kleine Frauen saßen vor ihm und flochten eine Kette aus großen, betäubend duftenden Blüten. Als Gloria herantrat, warfen sie sich sofort mit dem Gesicht auf die Erde und rührten sich nicht.
    Gloria bückte sich, nahm eine der großen Blüten vom Boden und legte sie der Blättermumie auf die Schulter. Dann ging sie schnell weiter, durchschüttelt vom Grauen.
    Ein Mensch war ihretwegen getötet worden. Es ist nicht einfach, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.
    Sie kamen ins Dorf zurück und wurden von dem plötzlich einsetzenden wilden Hämmern der Baumtrommeln überrascht. Die Frauen und Kinder kletterten wie auf der Flucht die Lianenleiter hinauf in ihre Wohnnester, die Krieger versammelten sich schreiend am Flußufer. Auch der alte Häuptling stieß einen grellen Schrei aus und rannte an Gloria vorbei zu den Männern.
    Auf dem Fluß näherte sich ein Einbaum mit sechs Kriegern. In einem schnellen Rhythmus stachen die Paddel ins Wasser, von einem Vorsänger mit schriller Stimme angefeuert. In der Mitte des Kanus hockte ein siebter, kleiner, nackter Mann, den man mit Lianen wie ein Paket verschnürt hatte und dessen Gesicht weiß war von angetrocknetem Lehm, mit dem er seinen Kopf beschmiert hatte.
    Man brachte einen Gefangenen nach Hause. Einen neuen Kopf! Ein Spion der Yinca, den man im Gebiet der Ximbús gefunden hatte. Tief im Gebiet der Ximbús, ganz nahe beim Dorf.
    Gloria starrte auf den verschnürten Mann, den man jetzt an Land trug. Sie ahnte, was gleich geschehen sollte, und sie wußte, daß man es vor ihr tun würde. Zu ihren Füßen, zu Ehren der Göttin.
    »Nein«, stammelte Gloria entsetzt. Und dann schrie sie, daß sich alle Krieger umdrehten: »Nein! Nein! Ihr schlagt ihm nicht den Kopf ab!«
    Der Gefangene wurde mitten auf dem Platz abgeladen. Er sah sich um und senkte dann den Kopf. Noch nie hatte ein Yinca das Dorf der Ximbús gesehen und war dann lebend zurückgekommen, wie auch kein Ximbú berichten konnte, in welchen Häusern die Yincas wohnten. Nun sah er es und wußte, daß es seine letzten Blicke waren.
    Welch ein Gegensatz: dort die Flußmenschen, hier die Baummenschen. Es würde nie ein Verstehen geben, nie einen Frieden! Es war eine andere Welt.
    Der Yinca hockte auf der Erde, bewegungslos eingeschnürt von den Lianen, und wartete darauf, daß das Natürlichste geschah, daß jemand ihn tötete und ihm dann seinen Kopf abtrennte. Darin waren sie gleich, Fluß- wie Baummenschen: Das Töten gehörte zum Leben. Und darin waren sie auch verwandt mit allen anderen Menschen, ganz gleich, ob sie in Blätterhütten oder in steinernen Palästen wohnen, die man dort Regierungssitze nennt.
    Und dann plötzlich sah er sie. Sie, von der der ganze Wald sprach, die noch niemand gesehen hatte, die den Ximbús Unbesiegbarkeit bringen sollte und deren Anwesenheit die Yincas zu armseligen

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