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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlängelten sich die Flammen durch die Plattform. Wenn sie jetzt nicht sprang, wurde sie auf diesem riesigen Rost gebraten.
    Schreiend beugte sich Gloria über die Brüstung. Unten standen die kleinen, nackten Menschen, starrten zu ihr hinauf und rührten sich nicht.
    Ihre Göttin zeigte ihnen, wie mächtig sie war … Gloria schloß die Augen. Die Feuerwand hinter ihr prasselte, die Stämme der Hütte brachen bereits zusammen.
    Springen, dachte sie. Springen. Die Arme ausbreiten und hinunter. Es ist der sanfteste Tod, der mir noch geblieben ist.
    Nur laß mich tot sein, Gott, wenn ich unten liege, laß mich nicht als Krüppel überleben!
    Sie umklammerte den Rand der Plattform, beugte sich weit nach vorn und stemmte die Füße gegen die heißen Rundhölzer, um sich abzustoßen.

20
    In dem Augenblick, in dem sie springen wollte, in dem sie mit dem Leben abgeschlossen hatte und das merkwürdige Gefühl sie durchzog, das sie nie begriffen hatte, wenn sie es früher las, dieses Gefühl der völligen Leere im Augenblick des Todes, packten zwei Hände sie von hinten, krallten sich in ihre Schultern und rissen sie zurück.
    Sie taumelte wieder den Flammen entgegen, schrie entsetzt auf und schlug um sich.
    Aber die Hände glitten tiefer, sie schwebte plötzlich in der Luft und merkte erst, als sie mit dem Schreien aufhörte, daß jemand sie auf den Armen wegtrug und anscheinend mit ihr den lodernden Flammen Vorhang durchbrechen wollte.
    »Nein!« rief sie wieder. »Nein! Das geht nicht! Wir verbrennen! Wir verbrennen!«
    Plötzlich war Wasser da. Ein kalter Guß überschüttete sie wohltuend, die unerträgliche Hitze ließ einen Augenblick nach, und diese wenigen Sekunden der Nässe genügten, um die Flammen zu durchbrechen und eine wackelige Leiter zu erreichen, die an der glimmenden Plattform lehnte.
    Wie sie von dem Baum heruntergekommen war, wußte Gloria später nicht. Sie kam erst wieder voll zur Besinnung, als sie abseits des brennenden Wohnnestes auf der Erde lag, Xéré neben ihr kniete und ihren Körper mit großen, kühlenden Blättern abdeckte.
    Er wusch ihr das rußschwarze Gesicht, hob dann ihren Kopf und flößte ihr eine süße, aber scharfe Flüssigkeit ein, die eine ungemein belebende Wirkung hatte. Alle Angst verschwand, das Gefühl, gebraten zu sein, versank wie in Watte. Dafür sah sie ihre Umwelt in viel kräftigeren Farben, der Himmel war tiefblau, die Bäume sattgrün, der Fluß wie ein Silberstrom. Sie wußte, daß Xéré ihr einen der geheimnisvollen Rauschtränke gegeben hatte, aber sie wehrte sich nicht dagegen, als er die flache Holzschale wieder gegen ihre Lippen preßte.
    Ich bin nicht verbrannt, dachte sie. Das ist die Hauptsache. Alles andere ist unwichtig. Ich lebe!
    Dann versank sie in eine Art Dämmerschlaf, hörte alles, aber sah nichts mehr. Die Ximbús begannen jetzt zu singen. Es war ein eintöniger Singsang, begleitet von den dumpfen Paukenschlägen der Baumtrommel. Krieg! Krieg! Krieg!
    Gloria nahm es nicht mehr wahr. Der Rauschtrank trug sie fort in eine Welt, in der die Wolken plötzlich wie Glas waren und die Grashalme winzige Menschenköpfe trugen, die mit piepsender Stimme eine einschläfernde Melodie sangen.
    Die Vorbereitungen bei den Ximbús gingen weiter, als habe die Sonnengöttin ihre Feuermacht nur gezeigt, um den Stamm anzutreiben. Der Medizinmann legte es so aus: Wir werden siegen. Über die Yincas wird die völlige Vernichtung kommen. Die weiße Göttin hat es verkündet, indem sie ihre Hütte verbrennen ließ.
    Die Kriegskanus wurden beladen, die Giftpfeile weiter in dem Giftsud präpariert, die Steinmesser an anderen großen Flußsteinen geschliffen.
    Nur Xéré beteiligte sich nicht an den Kriegsvorbereitungen. Er hockte im hohen Gras und bewachte seine weiße Göttin. Ganz vorsichtig, ganz zart, mit bebenden Händen strich er über die Schlafende, dann zuckte er zurück, drückte die Handflächen seitlich in den Boden und atmete schwer durch die Nase. Es war Wahnsinn, eine Göttin zu lieben, aber er hatte es gewagt, er hatte sie gestreichelt, als niemand hinsah.
    Xéré saß kerzengerade im Gras, die mit Blättern bedeckte Gloria vor sich, und begann, ihr goldenes, langes Haar wie einen Teppich um ihren Kopf auszubreiten. Als er damit fertig war, lag ihr entspanntes Gesicht wie in einem Sonnenkreis. Für einen Ximbú etwas Unbegreifliches.
    So blieb Gloria liegen und schlief fest unter der Einwirkung des Rauschtrankes, während später alle Krieger der Ximbús

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