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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Yincas gab. »Wir wissen, sie wohnen in Hütten auf dem Fluß«, sagte der Häuptling, nachdem die Weisen seines Stammes gesprochen hatten und er sicher war, daß nur ein Krieg helfen konnte. Ob im Urwald oder im Präsidentenpalast: Ein Krieg erscheint immer als der einzige Ausweg, das Leben erträglicher zu machen. Ein Erbwahnsinn, der im Hirn jedes Menschen nisten muß. »Aber wie sagen wir es der Göttin?«
    »Gar nicht!« Der Medizinmann grinste breit. »Wir nehmen sie mit. Wir werden ihr sagen, es sei eine Fahrt, um unser Land kennenzulernen. Nachher, beim Kampf, wird sie uns beschützen. Das ist ihre Pflicht!«
    Die Greise murmelten Beifall. Der Krieg war beschlossen. Sie brauchten auf keinen Wind zu warten, der Feuer zu den Yincas trieb. Vor allem aber waren sie unsterblich, denn sie hatten ja die Tochter der Sonne in ihrem Dorf –

19
    Während dreißig Kilometer südlich Antonio Serra und Hellmut Peters mit sieben kräftigen Trägern aufbrachen, um das Gebiet der Ximbús zu umgehen und dann den Fluß hinabzutreiben und das Dorf zu besichtigen, begann bei den Ximbús die Vorbereitung zur Rüstung.
    In zivilisierten Gegenden sieht man es daran, daß die Aktien steigen und die Fabriken immer reicher werden, die Propaganda den Gegner verteufelt und in der Geschichte eine Rechtfertigung sucht. Hier im unerforschten Urwald schwärmten die Frauen aus, um Kräuter, Wurzeln und Stengel zu suchen, die dann in großen, ausgehöhlten Kürbissen gekocht wurden, nach einem alten Geheimrezept und in einer genau abgewogenen Mischung. Der Medizinmann übernahm die Herstellungsüberwachung der Rüstung. Es wurde nicht nur das Gift gekocht, sondern es wurden auch Pfeile geschnitzt, Blasrohre geschnitten und ausprobiert und heranwachsende Männer ausgebildet.
    Darin unterschieden sich die Ximbús in nichts von den zivilisierten Völkern: Sie mobilisierten die letzten Reserven und gaben Kindern Waffen, die wegen der außergewöhnlichen Lage zu Männern erklärt wurden.
    Mit diesen zogen erfahrene Krieger in den Wald und übten an Affen, wie man Menschen tötet.
    Verwundert und nachdenklich beobachtete Gloria von ihrem Wohnnest das plötzliche hektische Treiben im Dorf. Sie wollte herunterklettern und aus der Nähe ansehen, was da in den großen Kürbissen brodelte, aber man hatte ihre Lianentreppe weggenommen, Xéré war verschwunden und hielt jetzt unten auf der Erde Wache. Er lehnte an dem dicken Baumstamm, wieder mit den weißen Streifen bemalt, und trug zum erstenmal ein Penisfutteral. Er war ein Mann geworden, und Xanxa hatte ihm das Futteral überreicht, ein wenig verlegen, aber glücklich. Xanxa, die er nach Krieg gegen die Yinca heiraten würde.
    Jetzt lehnte er stolz am Baum, zweifach ausgezeichnet als Mann und als Betreuer der weißen Göttin. Und im Herzen das Wort des Medizinmanns, daß er berufen sei, einmal ein Volk zu führen. Den kleinen Betrug mit dem gefangenen Yinca vergaß er. Wie konnte er ahnen, welche Folgen er jetzt schon nach sich zog.
    Ein paarmal versuchte Gloria, Xéré anzurufen. Sie beugte sich über den hochgeflochtenen Rand der Plattform und schrie seinen Namen, aber Xéré schien sie in dem allgemeinen Lärm nicht zu hören. Dann warf sie Holzstücke nach ihm. Sie verfehlte ihn zwar, aber die Hölzer fielen so dicht vor seine Füße, daß es unmöglich war, daß er so etwas nicht merkte.
    Es dauerte lange, bis Gloria begriff, daß man sie nicht bemerken wollte.
    Keiner der Krieger oder kochenden Frauen blickte nach oben zu ihr, und als sie laut zu rufen begann, verhallte ihre helle Stimme, als lebe sie unter einem Volk von Tauben.
    Wahnsinnige Angst überfiel sie wieder. Was soll das, fragte sie sich. Ich bin ihre Göttin. Kann man eine Göttin einfach einsperren? Oder haben sie schon gemerkt, daß ich bloß ein Mensch bin wie sie?
    Aber warum lebe ich dann noch? Sie setzte sich vor ihre Baumhütte und starrte hinunter auf das Gewimmel auf dem Dorfplatz. Am Fluß wurden die großen Einbäume gesäubert und ausgebessert. Frauen trugen große Bündel zum Ufer und stapelten sie dort. In einer Ecke saßen zehn Männer und schnitten aus bestimmten, leicht holzigen Zweigen dünne Streifen: das war die Waffenfabrik der Ximbús, wo die Giftpfeile für die Blasrohre hergestellt wurden.
    Ein paarmal überlegte Gloria, ob sie den Baum hinunterklettern sollte. Aber das war unmöglich; man hatte alle Zweige abgehackt und die Stämme, auf denen die Hütten hingen, so glatt geschabt, daß kein Vorsprung eine

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