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Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen

Titel: Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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daß keine Mücke bei den Burschen ist? So stinken die Kerle aus den Poren! Morgen früh werden Sie zu mir sagen: Das war ein Fehler heute nacht. Wir hätten sie doch … dann schlage ich Ihnen die Zähne ein, Hellmut. Das schwöre ich Ihnen! Los, traben Sie ab. Ich kann Ihr dämliches Gesicht nicht mehr sehen!«
    Peters wandte sich langsam ab und ging zur Hütte. Nein, ich kann es nicht, dachte er. Ich kann nicht zwanzig Menschen einfach abschlachten. Wer kann das? Auch wenn es die einfache Vernunft gutheißt; da ist immer noch diese Bremse der Moral.
    Wer kann zwanzig schlafende Menschen abstechen? Einen nach dem anderen? Wer kann das, ohne nicht verrückt zu werden?
    Er legte sich in die Hütte auf das Graslager und zog das Moskitonetz über sich. Aber er konnte nicht schlafen. Wenig später kam Serra herein und rauchte wieder eine seiner fürchterlichen Tabakwürste.
    »Sie kommen sich jetzt wie ein Märtyrer vor, was?« fragte er und setzte sich an die Wand.
    »So ähnlich.«
    »Die Yincas würden nicht zögern, Sie im Schlaf umzubringen.«
    »Ich bin kein Yinca.«
    »Nein, Sie sind ein Christ, der schon als Kind, dem man alles erzählen kann, eingebleut bekommen hat: Liebet eure Feinde! Tut Gutes denen, die euch Böses tun! Junge, gibt es einen größeren Blödsinn auf unserer Welt, die nur ans Überleben denkt? Geh einmal hin zu einem Indio, der deiner Mutter den Kopf abgehackt hat, umarme ihn und sage zu ihm: ›Du böser, böser Junge –, aber ich verzeihe dir!‹ Drei Sekunden später hast du auch keine Rübe mehr!«
    »Wenn alle Menschen so dächten, wenn alle Menschen …«
    »Du blöder Hund! Wieviel Kriege hat es unter den Christen gegeben? Aber lassen wir das. Morgen früh beginnt unser Problem, nicht das der anderen.« Serra stieß wieder dicke Rauchwolken aus seiner Riesenzigarre aus. »Ich habe mir gedacht, daß es eine gute Sache wäre, wenn wir auf dem Marsch zu den Ximbús unseren großen Feldherrn Xinxaré einfach verlieren.«
    »Was heißt verlieren?« fragte Peters mißtrauisch.
    »Irgendwann auf dem Marsch verlieren Xinxaré, seine Männer und wir uns aus den Augen.«
    »Sie glauben, das wird möglich sein?«
    »Wenn wir uns nicht völlig dusselig anstellen, müßte das gehen. Die ganze Taktik baut sich auf dem Fluß auf. Auf den Flößen. Unser Floß, unsere schwimmende Insel, muß zuerst fertig sein und flußabwärts zu den Ximbús treiben, bevor die anderen Flöße fertig sind. Damit haben wir einen Vorsprung, der gar nicht aufzuholen ist. Wir können Ihre Gloria klauen, bevor Xinxaré sein erstes Floß ins Wasser schiebt. Was allerdings dann folgt, das weiß keiner. Selbst ich nicht.«
    »Wir bleiben auf dem Fluß und treiben auf ihm hinab bis zur nächsten menschlichen Siedlung. Irgendwo ist eine …«
    »Natürlich. Aber dazwischen liegen Katarakte und Stromschnellen, Wasserfälle und reißende Strudel. Hellmut, was vor uns liegt, ist die Hölle aller Höllen.«
    »Wir müssen hindurch!«
    »Amen!« Serra rutschte an der Wand herunter in eine liegende Stellung. »Heute wird unsere letzte ruhige Nacht sein!«
    Gloria verschlief in ihrem Rauschzustand den ganzen Tag und die Nacht. Und immer saß Xéré neben ihr, Blasrohr und Messer griffbereit.
    Am schlimmsten war die Nacht. Nach dem Glauben der Ximbús durfte kein Mensch in der Nacht draußen auf dem Land sein, weil die Dunkelheit den Geistern gehörte, den Seelen der Ahnen und den Göttern. Und so hockte Xéré, als die Dunkelheit über den Wald brach, zitternd neben Gloria auf der Erde und wartete darauf, daß die Geister ihn umringten. Was geschehen würde, wußte er nicht. Noch kein Ximbú hatte die Nacht außerhalb seiner Hütte verbracht, und wer es getan hatte, war nie wieder gesehen worden. So erzählte man sich seit Jahrhunderten, und seit Jahrhunderten wagte niemand, durch die Nacht zu gehen. Er, Xéré, war nun der erste, der es wagte, unter die Geister zu gehen, und er tat es für die weiße Göttin, von der er wußte, daß sie nur eine wunderschöne, weißhäutige Frau war mit Haaren wie gesponnenes Gold. Er kroch etwas zurück und lehnte sich an einen Baum, dem uralten Instinkt gehorchend, den Rücken geschützt zu haben. Gloria zog er das kleine Stück mit sich und legte sie dann wieder quer vor sich ins Gras.
    Die Stunden verrannen. Der Wald verwandelte sich, alle nächtlichen Laute kamen Xéré besonders eindringlich und nahe vor, er sah unbekannte, große Vögel über den Fluß fliegen und zog sich in sich zusammen,

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